350 Kilometer laufen. 24.000 Höhenmeter. Inoffiziell 30.000. Die maximale Zeit: 150 Stunden. Schlafpausen? Muss man sich selbst einteilen. Es gibt Hütten am Weg und 6 sogenannte Life Bases, wo man die eigene Tasche bekommt, schlafen, essen, duschen kann. Ein Begleiter, also ‚Assistant‘ ist erlaubt, der bei den Life Bases Zutritt hat und helfen darf. Ich bin alleine hier und mir selbst überlassen. Das wird schon klappen!
Eine besondere Atmosphäre vor dem Start
Stolz marschiere ich nach der Startnummernabholung hinaus und freue mich wenn es am nächsten Tag endlich losgeht. Aus aller Welt kommen die Läufer und jeder Einzelne träumt davon, dieses Rennen zu finishen….
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Je länger das Rennen dauert, desto besser gefällt es mir. Ich fühle mich wohl hier. Der Alltag rückt immer weiter weg, das Hier und Jetzt bekommt mehr Raum. Alles was ich tun muss, ist essen, schlafen, gehen, laufen. Ich muss mich nur um mich selbst kümmern. Ich darf die Natur genießen. Ich darf hier sein. Einfach nur sein.
EINSAMKEIT
Es ist etwa 2 Uhr Früh und ich marschiere hinaus in die dunkle Nacht. Ich versuche zu laufen, damit der Schüttelfrost vergeht. Es funktioniert nicht. Ein Kilometer nach dem anderen. Bin ich sicher richtig? Es ist kein Mensch weit und breit zu sehen. Dann: Eine kleine Bushütte. Darin sitzen 2 Japaner. Ich setze mich schnurstracks dazu. Es geht mir gar nicht darum, mit jemandem zu sprechen. Die Anwesenheit der beiden reicht mir schon, um mich nicht mehr so alleine zu fühlen. Ich muss ein wenig verzweifelt aussehen, denn sofort streckt mir der Japaner ein kleines Säckchen entgegen. Darin ist Ingwer, scharfer Ingwer. Er deutet mir, ich solle mir ein Stück nehmen. Das mache ich. Der scharfe Ingwer weckt meine Lebensgeister. Außerdem berührt mich diese Geste tief. Wir kennen uns nicht, wir können kein Wort in der gleichen Sprache sprechen und doch weiß jeder, wie es dem anderen geht. Dankbar stehe ich nach kurzer Zeit auf und gehe weiter. Nicht aufgeben, nur nicht aufgeben.
…
Tiefpunkte
Als ich in der Hütte geweckt werde, kann ich nicht aufstehen, beim besten Willen nicht. Mich lediglich auf die Seite zu drehen kostet eine Tonne Energie. Ich bitte darum, mich noch einmal eine Stunde schlafen zu lassen. Nach dieser quäle ich mich aus dem Bett. Es ist 8 Uhr am Abend. Für die letzten 10 Kilometer habe ich inklusive Schlafpausen ca. 8 Stunden gebraucht. Es ist wie es ist. Die Frau beim ‘Check-In’, die mitbekommen hat, was mit mir los ist, sieht mich skeptisch an. So gut es mir gelingt, erkläre ich ihr, dass ich nun weitergehe. Noch einmal eine Handvoll Schokolade. “You sure?” fragt sie mich. “Yes.”
200 Höhenmeter bis zum nächsten Pass auf 2.700 Metern. In meinem Mund ist Blutgeschmack. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein Schritt nach dem anderen, die Stirnlampe ist schon wieder am Kopf. Jeglicher Zeitplan beim Teufel. Oben angekommen, denke ich, ich sollte umdrehen. Jetzt retour gehen, Bescheid geben, dass es nicht mehr geht. Over and out. Ja, das ist die einzig vernünftige Entscheidung.
Ich halte aber nicht an. Gehe. Wanke. Meine Beine machen das, was sie seit Tagen tun.
…
Auf Richtung Ziel
Die Hüttenwirtin im Rifugio Frassati schreit durch die Gegend: “If you want to see sunrise on Monte Bianco, you have to go NOW.” Immer wieder. Ja, wollen, können, das ist ein großer Unterschied…
Mir fallen die Augen zu. Sollen sie doch. So schlafe ich am Tisch ein. Vielleicht 15 Minuten. Danach bestelle ich Kaffee, esse Kekse und Schokolade.
“If you want to see sunrise…. “.
Gegen 6 Uhr fühle ich mich langsam wieder menschlich und stehe auf. Ich ziehe mich an und gehe hinaus. Es dämmert und die Sonne steigt hinter den Bergen auf. Nur noch ein steiler Anstieg. Obwohl ich fix und fertig bin, fühle ich mich tausendmal besser als in der Nacht. Ich weiß jetzt: Ich schaffe das. Die Bergwelt hier ist so unglaublich schön, sie macht mich sprachlos. Obwohl es noch etwa 25 Kilometer bis ins Ziel sind, bin ich schon jetzt ganz emotional. Ich bin fast am Ende meiner Reise angelangt.
Der Col Malatra ist eine Geschichte für sich. So imposant, so steil, so beeindruckend. Ich keuche. Bleibe immer wieder stehen. Und lache. Yes, I can.
…
Ein langer Weg
350 Kilometer und 30.000 Höhenmeter liegen hinter mir. Eine lange Reise findet ihren Abschluss. Dankbarkeit und Zufriedenheit ruhen in mir, wie ich sie noch nie empfunden habe.
Es muss wie ein Vollrausch sein. Ich hatte nie einen, aber ich stelle es mir so vor. Völlig weggebeamt. Völlig im hier und jetzt. An nichts anderes denken. Nur die simplen Dinge. Essen, trinken, laufen, gehen. Einen Tag lang nichts müssen, sondern einfach nur sein. Eine Ziellinie, die nicht käuflich ist. Nur wer hart gearbeitet hat, wer motiviert ist und den Willen hat, jedes noch so tiefe Tal zu durchschreiten, kommt an. Für mich ist jeder Ultratrail eine Metapher für das ganze Leben, bei dem ich wieder dazu lerne, mich selbst wieder ein Stück besser kennen lerne.
Großglockner Ultratrail: 110 Kilometer. 6.500 Höhenmeter.
Regen, der vom Himmel prasselt. Ein Meer an Stirnlampen. Leuchtende Kuhaugen. Colaflaschen im Brunnen. Rote Ampeln. Kabumm, der Startschuss.
Es sind unzählige Gedanken, die mir in den Tagen nach dem Großglockner Ultratrail durch den Kopf geistern. Körperliche Erholung ist die eine Sache, aber so einen Tag im Kopf verarbeiten dauert meistens länger.
Kartoffelpüree, Avocado, ein Stück Brot. Die Standard-Mahlzeit vor einem langen Rennen.
Der Rucksack ist gepackt, die Flaschen sind gefüllt, der Akku der
Stirnlampe ist voll geladen. Ich habe keine Lust mehr zu warten. Ich
warte schon seit Monaten auf diesen Tag. Training – bei jedem Wetter,
egal wie müde, egal ob motiviert oder nicht. 110 Kilometer. 6.500
Höhenmeter. Das sind Zahlen, die viele in meiner Familie nur den Kopf
schütteln lassen und die Frage nach dem Warum stellen. Diese Frage
stellt sich mir nicht, denn ich bin fest entschlossen. Aber eins ist
sicher: Der Großglockner Ultratrail duldet es nicht, schlecht
vorbereitet am Start zu stehen. Wer hier halbherzig dabei ist, wird
abgeworfen.
Nun ist es 21 Uhr. Noch 1 Stunde. Mit meinem großen Sack, oder eben Dropbag, wandere ich durch die Straßen Kapruns. Während die Araber und andere Urlauber hier einen lauen Sommerabend in den Lokalen genießen, sich einen Schluck Wein genehmigen, nuckle ich an meinen Flasks, die aus dem Rucksack herausschauen. Tunnelblick. Ich bin konzentriert, fokussiert, aber auch müde. Letzteres wird das Adrenalin vor dem Startschuss schon richten.
21.30 Uhr. Dropbag abgeben. Davor nochmal alles kontrollieren. Habe ich sicher nichts vergessen? Regenjacke, Ersatz-Stirnlampe, Verpflegung. Es ist alles dabei.
Ein letzter Stopp am WC. Die Musik in Nähe des Starts ist laut. Zu laut. Ich mag es vor einem Start lieber ruhig, gehe gerne noch einmal in mich und sage mir, dass ich gut vorbereitet bin, spreche mir selbst Mut zu und erinnere mich daran, dass in den nächsten Stunden negative Gedanken nicht erlaubt sind.
21:45 Uhr. Briefing. Alle warten auf die Wetterprognose. Kein Regen in der Nacht, aber die Gewittergefahr am nächsten Tag ist hoch. Mit Rennunterbrechnungen oder gar einem Abbruch ist zu rechnen. Das war klar. Ich weiß, dass ich mir heute Nacht nicht Zeit lassen darf, denn je später es wird, umso höher die Gefahr.
21:55 Uhr. Auf in die Startbox. Die Nummern 1 bis 100 sollen sich vorne einreihen. Bisher habe ich mir nur gedacht: Nummer 55 – gefällt mir. Insgesamt sind ca. 450 Läufer am Start. Warum ich hier vorne stehe, weiß ich nicht. Vielleicht, weil ich den GGUT schon zweimal gefinished habe. Das Rennen lässt mir aber noch keine Ruhe, deshalb bin ich ein drittes Mal hier.
Der Moderator schreit ins Mikrofon: Clap your hands!
22:00 Uhr. Puff. Startschuss. Endlich. Hinaus aus Kaprun. Die ersten
Kilometer sind recht flach, es steigt nur langsam an. Es wird wie immer
gelaufen, als wären wir nach 10 Kilometern im Ziel. Ich lasse mich
nicht beirren und laufe genau mein Tempo. Alles ist gut.
Etappe 1: Bis zur Mautstelle
Bis nach Fusch sind es ca. 12 Kilometer. Es geht steil bergauf durch den Wald. Ein langer Zug an Stirnlampen wandert durch die Nacht. Es wird kaum gesprochen, vermutlich ist sich jeder der noch langen Aufgabe an diesem Tag bewusst. So manch einer rast vorbei, die meisten aber sind unterwegs wie in einer Gruppenmeditation. Ein Schritt nach dem anderen. In Fusch wartet die erste Labe. Sicherheitshalber fülle ich am Brunnen meine Flasche auf. In den ersten Stunden eines Ultratrails gibt es nicht viel zu tun außer darauf zu achten, sich nicht gleich abzuschießen und vor allem gleich von Beginn an genug zu trinken und zu essen.
Die Zeit vergeht, irgendwo hört man eine Kirchturmuhr Mitternacht
schlagen. Geisterstunde am Großglockner… Meine Gedanken sind schräg und
ich bin müde. Und dann beginnt es zu tropfen. Ach, so ein paar
Regentropfen, das ist angenehm. Dabei bleibt es nicht, es wird mehr und
mehr und mehr. Ich blicke um mich, keiner scheint Lust zu haben, die
Regenjacke auszupacken. Habe ich auch nicht, mache es aber trotzdem.
Jetzt gleich durchnässt und ausgekühlt sein, wenn es dann bis auf 2.663
Meter hinaufgeht – das wäre eine ganz dumme Idee. Der leichte Regen wird
letztendlich zum Wolkenbruch wird. Es schüttet. Mir ist kalt. “Das geht
sicher bald wieder vorbei”, versuche ich mir einzureden. Kilometer um
Kilometer vergeht und es regnet lustig weiter. Bei Kilometer 23 ist die
Mautstelle in Ferleiten erreicht. Schon von weitem sieht man die roten
Ampeln. Für Autos ist die Großglockner Hochalpenstraße in der Nacht
gesperrt. Wer eine Startnummer trägt, hat die Genehmigung, hier zu
passieren, und Richtung Pfandlscharte weiter zu laufen.
“Wie sieht’s aus mit dem Wetter?” frage ich. “Der Regen hätte
eigentlich nicht kommen sollen.” Aja. Gut. Hilft eh nix. Es geht weiter.
Ich hatte mir vor dem Start zum Ziel gesetzt, unter 20 Stunden zu
bleiben. Da habe ich die Rechnung ohne meine Müdigkeit gemacht.
Überhaupt erscheint es mir gerade als ausgemachter Blödsinn, sich auf
110 Kilometern darüber Gedanken zu machen, wie schnell man sein kann
oder sollte. Wem muss ich hier etwas beweisen?
Etappe 2: Von der Mautstelle bis Kals
Mehr als 1.000 Höhenmeter hinauf zur Unteren Pfandlscharte. Keine
besonderen Vorkommnisse. Springe aus Versehen in einen Bach. Das wären
dann also in etwa 35 Kilometer in nassen Schuhen. Dann kommt das
Schneefeld, das ich aus den Vorjahren kenne. 47 °C steil, eisig. Ich
habe mir heuer meine Snowline Spikes eingepackt. Die anzuziehen dauert
etwa 20 Sekunden. Ich gehe mit voller Sicherheit aufwärts und ernte
dabei neidische Blicke meiner Mitstreiter. Ich habe 4 Kinder, zum einen
fürchte ich mich nicht gerne, zum anderen will ich wieder gut daheim
ankommen.
Beim Glocknerhaus bei Kilometer 38 haben wir bereits 3.000 Höhenmeter
absolviert. Norbert wartet dort und feuert alle an. Es ist immer
unglaublich schön, auf so einer langen ‚Reise‘ auf ein bekanntes Gesicht
zu treffen. Innerhalb weniger Minuten schütte ich 2 Becher Suppe in
mich hinein, dazu ein Brot, ein paar Soletti und im Anschluss noch ein
Kaffee. Ob es eine kluge Kombination war? Hauptsache Energie.
Nach einer kurzen Bergab-Passage zu den Stauseen geht es ohnehin gleich in den nächsten Anstieg, da ist Zeit zum Verdauen. Vorher lichtet sich aber der Himmel, die Stirnlampe darf endlich im Rucksack verschwinden und der Blick zur Großglockner Pasterze ist unglaublich schön. Das sind neben der körperlichen Anstrengung und der Müdigkeit diese ganz besonderen Momente, die man nur an solchen Tagen erlebt.
Abgesehen vom Dreck auf meinen Kontaktlinsen (wie auch immer ich das
angestellt habe), der es mir schwer macht, scharf zu sehen, geht es mir
ganz gut. „Magst du überholen?“ rufe ich dem Läufer nach mir zu. „Nana,
bist ein guter Peacemaker!“ Peace, Pace, macht ja keinen Unterschied,
Hauptsache es läuft!
Es geht aufwärts Richtung Salmhütte, immer ein wenig auf und ab, die meisten Passagen kann ich laufen. Ich bin in dieser Phase des Rennens so richtig bei mir und dankbar dafür, dass ich so fit bin und mein Körper das alles mitmacht.
Weiter geht‘s hinauf zum höchsten Punkt auf über 2.800 Metern – die Pfortscharte.
Ich schiebe mich mit den Stöcken aufwärts. Der Ausblick da oben ist imposant, aber der Wind pfeift und ich rausche gleich wieder abwärts. Ein steiles Geröllfeld, das in Serpentinen passiert wird – ich überhole Läufer um Läufer. Es macht Spaß!
Nächste Labe bei der Lucknerhütte: Süßer Tee wird in die Flaschen
gefüllt, dazu ein bisschen Brot und Salzgebäck. Weiter geht‘s. Die große
‚Basis‘ in Kals rückt immer näher.
Doch bevor es abwärts geht, wartet noch ein ganz gemeiner Anstieg über etwa 300 Höhenmeter auf einem Grashügel. Es ist unglaublich schwül, die Luft lässt erahnen, dass der Himmel heute nicht so strahlend blau bleiben wird, wie er es jetzt ist.
Dann geht es abwärts, endlos lang, bis endlich Kilometer 62 in Kals erreicht ist.
Jetzt beginnt das Rennen
11 Stunden und 15 Minuten, sagt meine Uhr. Eigentlich möchte ich
gleich weiter, aber ich brauche dringend meinen Dropbag: Die nassen
Socken und Schuhe müssen weg, sonst winken Blasen. Vom Speedcross 5 geht
es in den Hoka Speedgoat 3. Das Wichtigste aber ist: Neue Kontaktlinsen
einsetzen. Seit Stunden habe ich Probleme mit dem sehen. Zum Glück habe
ich Ersatzlinsen dabei (übrigens ausnahmslos, seit mir beim Ironman vor
ein paar Jahren kurz vor dem Start eine gerissen ist – nicht
nachahmenswert!). Dann wird noch die Verpflegung nachgefüllt, ein
Schluck Cola getrunken und es geht weiter.
Knapp elfeinhalb Stunden bin ich nun am Weg, so richtig super fühlt man sich nach der Zeit und Distanz nicht mehr, aber ich kann noch immer laufen.
Bis zum Kalser Tauernhaus zieht es sich, immer wieder schaue ich zum Himmel hinauf. Die Wolken werden dichter und ich bin ehrlich gespannt, ob sich das heute ausgehen wird. Kilometer 71. „Habts ihr Cola?“ Langsam macht sich nämlich mein Kreislauf bemerkbar. Bei schwülem Wetter habe ich immer ziemlich zu kämpfen und noch keine echte Lösung dafür gefunden. „Nein, aber alkoholfreies Weißbier.“ Gut, dann eben Bier. Ich genehmige mir einen großen Schluck – so gut kühl – und laufe weiter. Gleichzeitig spüre ich, dass es jetzt gerade ziemlich aus ist mit der Energie. Bei jeder Möglichkeit schütte ich mir Wasser über den Kopf, trinke, aber dieses Dorfertal Richtung Kalser Tauern scheint mir den Zahn zu ziehen.
Unrhythmisch geht es weiter, über große Felsen, kleine Felsen. Nur nicht stürzen. Wann habe ich die letzte Salztablette genommen? Habe ich genug Zucker intus? Irgendwie hilft im Moment gar nichts. Ich bin wohl nicht die Einzige, die nicht mehr ganz bei der Sache ist, denn plötzlich taucht ein Italiener neben mir aus dem Wasser auf. Scheint die Strecke verpasst zu haben und hat stattdessen den See gewählt. Muss man nicht nachmachen.
Noch 600 Höhenmeter bis zum Kalser Tauern, sagt meine Uhr. Die Bergrettung kommt mir entgegen. Der Himmel ist grau, ein Blick zurück nach Kals ist eher schwärzlich. Wieder meine Wetter-Frage. „Ah, bis zur Rudolfshütte sollte alles passen.“ Ich verlasse mich darauf und ziehe weiter. Je steiler es wird, desto mehr habe ich zu kämpfen. Aber ich bin nicht alleine. Jeder verfällt in einen komatösen Schritt, hier hinauf ist es unglaublich mühsam.
Meine Oase, die Rudolfshütte
Wie ich überhaupt hinauf komme, weiß ich nicht. Eben irgendwie. Der Kalser Tauern gibt den Blick zur Rudolfshütte frei. Ich bin im Eimer. Rudolfshütte, Rettungshütte. Rudolfshütte, Rettungshütte. „Komm schon, nicht nachlassen.“ An die weitere Strecke denke ich nicht. Erst einmal da hinüber laufen. Da gibt es bestimmt Suppe. Und Cola. Der Gedanke daran rettet mich. Rudolfshütte, Rettungshütte. Mein Mantra.
Ein Gegenanstieg folgt noch, hinauf zu meiner Oase. Gefühlt ist es der Mount Everest, in der Realität sind es ca. 50 Höhenmeter. Und dann: Cola. Wenn der Hersteller wüsste, wie viele Ultraläufer dieses Getränk schon gerettet hat….
Egal ob ich will oder nicht: Ich muss mich setzen. Pause. Obwohl ich eigentlich permanent esse, kracht mein Magen. Zuckerloch – ein ganz Tiefes. Hoffentlich folgt nicht genau jetzt ein Rennabbruch, während ich hier auf der Bank hocke und meine Suppe schlürfe. Dazu Brot und Salzgebäck. Im Anschluss: Schokolade – nicht zu wenig. Lebensgeister, wo seid ihr? Sie sind noch nicht da, aber ich muss zurück auf die Strecke. 15 Minuten später, bevor ich ich die warme Stube verlasse: „Wie sieht‘s aus mit dem Wetter?“ „Ihr habt Glück. Wir haben gerade mit der Bergrettung da oben am Törl telefoniert. Der Wind geht, die Gewitter ziehen darüber.“ Obwohl es in der Ferne immer wieder donnert, beruhigt mich das. Es ist auch einfach nur grau, sieht aber nicht bedrohlich aus. Zu dem Zeitpunkt ist es ca. halb 2 am Nachmittag. Ich bin also etwa 15,5 Stunden am Weg.
„Nur noch 30 Kilometer.“ Dass ich hier schon zweimal dabei war und ganz genau weiß, was auf mich zukommt, ist in dem Moment vielleicht nicht der allergrößte Vorteil. Erst geht es sehr technisch bergab. Mein Hirn hat richtig viel zu tun, um jeden Schritt richtig zu setzen.
Die letzte Bergetappe – Das Kapruner Törl
„If you can walk, you can run.“ Das sage ich mir immer wieder. In den flachen Passagen versuche ich trotz Müdigkeit immer zu laufen. Dann geht es auch schon aufwärts Richtung Kapruner Törl. 600 Höhenmeter. Es beginnt leicht zu regnen – eine Wohltat bei dem schwülen Wetter! Kühle Tropfen vom Himmel, dazu ein Gel aus meinem Rucksack. Ich bin absolut im Eimer und trotzdem zweifle ich keine Sekunde daran, hier ins Ziel zu kommen. Es gibt auch keine Warum Fragen. Ich will das einfach. Aus Ende.
Also gehen, gehen, gehen. Einen Schritt. Noch einen Schritt. „Ja bist du deppert, nimmt das gar kein Ende hier rauf….“ „Ist ja ein Klacks für dich, ist ja nicht das erste Mal, dass du hier rauf gehst. Vergiss nicht zu trinken.“ Selbstgespräche. Dazu gebe ich immer wieder Schnee unter die Kappe und in den Nacken. Mein Kreislauf fährt Achterbahn.
Als ich endlich auf 2.639 Metern am Kapruner Törl stehe, bin ich erleichtert.
Abwärts Richtung Mooserboden
Erst einmal vorsichtig bergab über Blockgestein, dann hinein ins Schneefeld. Ich hasse diese Passagen. Ehrlich, ich hasse sie. Klaus Gösweiner meinte am Vortag: „Wer das im Griff hat, kann richtig viel Zeit gut machen”.
Wer es nicht drauf hat, der lässt Berge liegen – so wie ich. Trotzdem: Positiv denken – ich versuche es zumindest. „Ist eh lustig, komm schon, einfach locker hinunterlaufen.“ Zack, ausgerutscht. „Ah, jetzt gehts besser, jetzt hast du es schon heraußen.“ Wieder, ausgerutscht. Und so weiter. Könnte dieses Schneefeld hören, was ich es nenne und wie ich fluche, wir würden unser ganzes Leben keine Freunde mehr…
Danach ist es zwar technisch, aber das stört mich nicht. Ich finde einen guten Laufschritt, bin bei den Bachquerungen konzentriert und lasse es laufen. Der Himmel über dem Mooserboden und Richtung Kaprun ist kohlschwarz, direkt über mir aber nur leicht grau – das nennt man Glück.
Ich wundere mich ein wenig, warum der nette Herr der Bergrettung meine Startnummer wissen will, schenke dem aber keine große Beachtung. Dass zu dem Zeitpunkt das Rennen bis zur Rudolfshütte bereits abgebrochen ist und ich eine der letzten Läuferinnen bin, die noch durchlaufen konnte – davon weiß ich gar nichts.
Laufen, gehen, einfach im Rhythmus bleiben. Langsam tauchen vor mir
wieder Läufer auf, ich kann also nicht so langsam sein. Die letzte
Verpflegung an den Hochgebirgsstauseen ist langsam in Sichtweite. Egal
ob man dort isst oder trinkt – für die Psyche sind das immer ganz
wichtige Punkte.
Mooserboden – Noch 16 Kilometer
Die letzten Kilometer bis hierher sind mir nicht leicht gefallen. Meine Zielzeit von 20 Stunden ist längst passé, und trotzdem folgt ein Blick auf meine Uhr: Knapp 19 Stunden bin ich am Weg. Was wäre wenn… ich jetzt so richtig Gas geben würde, so richtig. Dann könnte sich eine 20er Zeit ausgehen. Ein gewagtes Unterfangen, denn ganz flach sind die letzten 16 Kilometer nicht. Neben den Tunneln Richtung Kesselfallhaus ist es technisch, es geht auf und ab. Im normalen Zustand kein Problem, das schnell zu laufen, aber nach 95 Kilometern? In meinem Kopf ist es aber schon beschlossene Sache. Es gibt jetzt nur noch eines: Vollgas!
Ein Becher Cola, auf alles andere pfeife ich und dann laufe ich, als gäbe es kein morgen. Einer nach dem anderen wird überholt. Mein Kopf bestimmt über meine Beine. Ich bin völlig im Flow. Auf, ab, es läuft so richtig!
Noch 12 Kilometer, noch 10, noch 8 …. Beim Kesselfallhaus stehen noch Wasserkanister und Iso Getränk. Ich ignoriere es gekonnt. Ich habe keine Lust mehr, vernünftig zu sein. Ich will ins Ziel. So manch einer der 50-Kilometer-Distanz wandert Richtung Kaprun. „Komm schon, nur noch wenige Kilometer, das packst du locker!“ rufe ich einem nach dem anderen zu.
So sehr ich im Flow bin, mein Hirn funktioniert noch und weiß: 16 Kilometer ganz ohne Zucker – das könnte blöd ausgehen. 5 Kilometer vor Kaprun ist Schluss mit lustig. Zu essen habe ich noch genug im Rucksack, aber nicht im Traum bekomme ich jetzt noch einen Bissen hinunter.
So viele Leute sitzen hier gemütlich am Fluss neben dem Wanderweg, warum hält keiner eine Cola in der Hand?
Ich würde vor jedem einen Kniefall machen, nur um einen Schluck zu bekommen. Aber da ist nichts. Mir ist schlecht und ich bin besessen von dem Gedanken an Cola. Cola, Cola, Cola…. Da treffe ich auf einen Italiener. Mein (nur im Rennen) geliebtes Getränk hat er auch nicht, aber er klopft mir auf die Schulter: „Bravo, Bravo!“ Er geht, ich laufe und ich motiviere ihn, auch wieder zu laufen. Das ist fein, wir wechseln uns ab, er kann weder deutsch noch englisch, ich nicht italienisch. Als ich langsamer werde, schaut er mich fragend an. „Sick, so sick“ … „Ah, sick, bravo, bravo.“ Voll angekommen. Egal. Umfallen kann ich im Ziel. Ein Blick auf die Uhr. Das wird sich unter 21 Stunden ausgehen. Die letzten Kilometer sind nicht bravourös, sie machen keinen Spaß, wie man es vielleicht in so einer Geschichte gerne lesen möchte. Weil meine Familie nicht mit dabei ist – weil unsere 4 Kids einfach zu klein sind und noch zu viel Blödsinn machen – schreibe ich noch eine WhatsApp. So habe ich das Gefühl, dass sie zumindest ein bisschen mit dabei sind.
Als ich Richtung Ziel einbiege, bin ich einfach nur froh, dass es vorbei ist. 20 Stunden, 53 Minuten. Der Moderator ruft: 4. Platz, ja ist das nicht der Wahnsinn? Ist es das? Es ist jedenfalls Blech. Aber was soll’s.
Das Bedürfnis, die Hände nach oben zu reißen, habe ich eigentlich nie. Ich überschreite die Ziellinie und bin einfach dankbar, dass ich es geschafft habe.
Vor allem aber bin ich eines: Am Ende. Am meisten freue ich mich
jetzt einfach, dass nach dem Zieleinlauf ein Sessel auf mich wartet.
Over and out.
Medaille umhängen, etwas trinken und auf einen Engel hoffen, der mich
ins Hotel bringt. Die 2 Kilometer schaffe ich nämlich nicht mehr. Er
kommt wirklich, in Form von Andi Schweninger, seines Zeichens ATRA
Verbandsarzt und für die Mitgliederverwaltung zuständig, und im echten
Leben Arzt. Bringt mich ins Hotel und rettet damit mein Leben. Dort:
Irgendwie in die Dusche, Zeug auf den Boden schmeißen, ins Bett. Das
nennt man wohl Knock-Out. Mir fallen die Augen zu.
Nach 3 Teilnahmen habe ich mit dem Großglockner Ultratrail erst
einmal abgeschlossen. Mein Ziel, unter 20 Stunden zu bleiben, war sehr
hoch gesteckt. Für manch einen mag es sinnlos erscheinen, sich auf 110
Kilometern überhaupt ein Zeitziel zu setzen. Mir war es wichtig. Es hat
mich über Monate motiviert und immer wieder von alltäglichen Dingen
abgelenkt. Ich hätte es auch drauf gehabt, aber meine Zeit, dass etwas
so richtig aufgeht, scheint noch nicht gekommen zu sein. Dafür rauben
uns die Kinder nicht nur unsere Nerven, sondern einfach zu viel Schlaf.
Ich
bin nicht stolz auf meinen 4. Platz oder meine Zeit. Ich bin stolz
darauf, dass ich jeden einzelnen Tag an mir arbeite, für solche Ziele
und alle, die noch kommen. Ich war noch nie ein ‘One-Hit-Wonder’ und
habe mir bisher immer alles erarbeitet. So wird es auch mit diesem
Rennen sein. Eines Tages sind die Kinder groß genug und ich laufe mit
ihnen ins Ziel – unter 20 Stunden. Da sind wir wieder bei der Metapher.
Nie aufgeben. Immer weitermachen.
Mehr als ein Symbol
Zur Siegerehrung schaffe ich es nur mit etwa 5 Weckern und einer Packung Manner Waffeln, die zufällig in Bett-Reichweite ist.
Für Platz 4 bekomme ich einen wunderschönen, handgefertigten Anhänger. Ich habe schon einen von Platz 5 im Jahr 2017. Vielleicht gibt es einmal jemanden, dem ich diesen zweiten Anhänger schenke – der ihn braucht. Ich trage ihn nämlich immer an Tagen, an denen ich das Gefühl habe, besondere Stärke zu brauchen. Er erinnert mich daran, was mit der nötigen Konsequenz, Mut und Leidenschaft möglich ist. Nämlich alles.
Nachtrag: Das Rennen wurde um kurz vor 15 Uhr für alle unterbrochen, die noch irgendwo vor der Rudolfshütte waren. Von über 450 Startern auf der Ultradistanz waren nur knapp über 50 schnell genug, um dem Gewitter davon zu laufen. Von 51 Frauen sind gar nur 6 ins Ziel gekommen. Das macht mich nicht stolz. Ich denke an knapp 400 geplatzte Träume, denn jeder der bei so einem Rennen an den Start geht, hat hart dafür trainiert und hat es sich verdient, diese Finisher Medaille zu bekommen. Aber gegen das Wetter ist man machtlos. Am gleichen Tag wurde beim Südtirol Ultra Skyrace eine Teilnehmerin vom Blitz getroffen und tödlich verletzt. Das sollte uns alle ein wenig auf den Boden der Realität holen und vor allem die Entscheidung des Veranstalters, ein Rennen abzubrechen, nicht zu kritisieren.
]]>84 Kilometer und 5.400 Höhenmeter warten auf uns. Die Strecke ist nicht das Original – unmöglich aufgrund der starken Schneefälle in diesem Winter. Vor 28 Jahren habe es zuletzt eine so extreme Schneelage gegeben. Bilder beim Briefing beweisen: Zahlreiche Streckenteile wären nicht passierbar, zum einen aufgrund der Lawinengefahr, zum anderen weil da, wo normalerweise zu diesem Zeitpunkt im Jahr bereits sommerliche Trails warten, 10 Meter hohe Schneewände stehen. Speziell einer der letzten Streckenteile zwischen Statzerhaus und Hundstein würde uns Läufern wohl im wahrsten Sinne des Wortes das Genick brechen.
Macht aber nichts, jeder ist darauf eingestellt. Es ist zwar ein wenig schade, aber bei diesen Bedingungen in so kurzer Zeit überhaupt eine Ersatzstrecke auf die Beine zu stellen, ist vom Veranstalter meiner Meinung nach eine enorme Leistung!
(Wer die Strecke nicht kennt, muss wissen, dass diese grundsätzlich das ganze Jahr über permanent markiert ist. Es musste also nicht nur die neue Strecke markiert, sondern auch die ‚alte‘ überklebt werden).
Bis 2017 war ich, so würde ich sagen, ziemlich intensiv bei Ultratrails unterwegs. Was danach folgte? Das Leben. Hauskauf, -verkauf, Zwillinge (und dann waren es 4 Kinder), viel Arbeit, Bänderriss und so weiter und so fort. Kurz gesagt: 2018 war ein Jahr zum Abhaken. Die Moral war nicht selten am Boden. Aber wie heißt es so schön: Nach jedem Tal kommt ein Berg, irgendwann musste es wieder bergauf gehen. Umso motivierter startete ich im Herbst in die Vorbereitung für die neue Saison. Der Winter verlief top. Der März war ein krankheitsbedingter Totalausfall (Die Bazillenschleuder = unsere Kinder erwischte mich doch noch), aber bei wem läuft schon alles perfekt? Seither konnte ich viele Trail-Kilometer im Mühlviertel sammeln. Das Gefühl stimmte und die Vorfreude auf den Hochkönigman in Maria Alm, ein Rennen und ein Gebiet, das ich einfach liebe, stieg!
Bereits am Donnerstag hieß es: Auf Richtung Salzburg. Zu zweit. Die Kinder bei den Omas untergebracht und die Aussicht auf eine ganze Nacht Schlaf vor dem Rennen. Gut untergebracht im Trailrunning Hotel Eder fast neben dem Start. Perfekt. Am Donnerstag noch ein wenig auf der Easy Trail Strecke spazieren gehen, am Freitag warten auf den Start. Wann, ja wann, wurde es endlich Abend….
Equipment vorbereiten, Pflichtausrüstung kontrollieren, Getränke und Essen einpacken, Dropbag abgeben. Das übliche Programm, das trotzdem nie zur Routine wird.
Ab 11 Uhr: Briefing, nochmal aufs Klo laufen, Ausrüstungskontrolle und warten auf den Startschuss. Die Stimmung ist mega. Das Siegerpodest steht leer auf der Bühne. Kurz halte ich inne und denke: 20 Uhr, Siegerehrung, ich will hier heute dabei sein.
Endlich geht es los! Wir stürmen hinaus in die Nacht, hinauf Richtung
Natrun und Jufen. Fast alles wird gelaufen, die Beine sind frisch. Es
regnet leicht, die Wurzeln sind nass, der Boden tief und matschig. Ich
bin glücklich und dankbar, endlich wieder in einem Ultra Rennen sein zu
dürfen – und vielleicht ein wenig übermotiviert. Nach der Jufenalm
erreichen wir das Brimbachkögerl, anschließend den Massingsattel. Die
erste Runde führt (geändert) über die Speedtrail Strecke, die ich recht
gut kenne. Bergab in einem Stau stehen? Bitte nicht. So gebe ich bei den
Downhills richtig Gas. Ich spüre schon nach der ersten Runde mein Knie
(fühlt sich plötzlich wie ein Läuferknie an) und meine Oberschenkel
werden nach dem Rennen definitiv einen guten Muskelkater haben. Ein
ausgewaschenes Bachbett mit großen Steinen, kleinen Steinen, rutschigen
Steinen ist für mich brutal. Hier kann niemand langsamer sein als ich.
Anschließend geht es abwärts Richtung Maria Alm.
Nach der ersten Runde schnappe ich mir an der Labe eine Handvoll
Soletti. Tina Hitzenberger, die spätere Siegerin, überholt mich. Macht
nichts, das Rennen dauert noch ewig. In der zweiten Runde bergauf
Richtung Massingsattel wechsle ich vom laufen ins schnelle wandern. Der
ökonomische Ultra-Rhythmus: Bergauf gehen, flach und bergab laufen. Die
Zeit vergeht wie im Flug. Um 4.30 Uhr zeigen sich bergauf die
Silhouetten der Berge, die Sonne geht auf, die Vögel werden wach und
beginnen zu singen. In der Nacht laufen erfordert auf diesen Trails mit
Stirnlampe höchste Konzentration, aber der Moment, wenn es im Rennen
hell wird, die Welt erwacht, ist immer wieder einzigartig und schwer zu
beschreiben. Für mich zählt das immer zu den Highlights eines
Ultratrails.
Nach etwa 28 Kilometern haben wir bereits 2.000 Höhenmeter in den Beinen. Jetzt geht es erstmal abwärts Richtung Hinterthal. Nur nicht verlaufen. Über umgestürzte Bäume hüpfen, ein gutes Tempo und den eigenen Rhyhtmus finden.
Bei Kilometer 35 wartet die erste Labe. Erste Dame, wird mir gesagt. Keine Ahnung wie das gegangen ist, aber Tina ist sicher ganz knapp hinter mir. Ich fülle meine ‚Flasks‘ (= Trinkflaschen) an, schnappe mir wieder eine Handvoll Soletti und laufe weiter. Ich fühle mich richtig gut und es macht Spaß. Es folgt ein langer Anstieg hinauf Richtung Kilometer 40. Schneefelder werden passiert, technische Trails warten. Dann geht es abwärts, abwärts, abwärts und plötzlich frage ich mich wo ich bin. Warum habe ich schon so lange niemanden mehr gesehen? Kann das hier überhaupt stimmen? Im Schnee sind aber jede Menge Spuren von Laufschuhen und so komme ich nicht auf die Idee, den GPS Track zu überprüfen. Dumme Idee, ganz dumm… plötzlich stehe ich auf einer Straße. Geradeaus geht es auf der Marathonstrecke weiter. Das kann nicht sein. Also laufe ich ein Stück abwärts auf der Straße. Na, jetzt stimmt gar nichts mehr. Das ist der Filzensattel. Panik kommt auf. Ich nehme die Karte heraus. Kann nicht stimmen. Handy. Route ansehen. Scheisse. Scheisse. Scheisse.
Eins meiner Saison-Highlights, ein Rennen, das ich so liebe und jetzt
bin ich irgendwo? Meine größte Sorge ist nicht die Zeit, die ich
verliere, sondern ob ich überhaupt zurückfinde und weitermachen kann.
Wenn ich irgendwas nicht will, dann, das Rennen beenden zu müssen. DNF?
Das gibt es bei mir eigentlich nicht. Also gut. Ruhig bleiben. Erstmal
orientieren. Ich muss jetzt wieder aufwärts. Ich laufe durch den Wald,
so müsste ich irgendwie zurück auf die Strecke kommen. Als ich denke,
fast wieder richtig zu sein, stehe ich vor einer Schlucht. Steil
abwärts. Na, das geht nicht. Also wieder eine Kurve, wieder umlaufen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich wieder auf der Strecke. Vermutlich
waren es 3 bis 4 Kilometer, dazu vermutlich 200 Höhenmeter. Ich habe
eine unglaubliche Wut – auf mich selbst. Ausgerechnet hier muss das
passieren. Aber ich bin auf der Strecke. Engel und Teufel auf meinen
Schultern sind sich nicht einig, ob ich mich freuen oder explodieren
soll.
Labestation Dientner Sattel. Von vielen überholt, mit negativen Gedanken unterwegs. Zwei Läufer hinter mir schließen auf. „Positiv bleiben, Sigi“, meint einer. Wie recht er hat. Ich versuche es, brauche aber sicher 2, 3 Stunden bis ich wieder bei mir selbst bin.
Das Stück bis Dienten zehrt an meinen Kräften. Zu querende Schneefelder, bei denen die Angst ein wenig mitläuft (wer einmal auf so einem Feld ausgerutscht ist, hat keinen Spaß mehr daran).
Bergauf geht es heute richtig gut voran. Bergab habe ich Probleme.
Ein Läuferknie hatte ich vor Jahren einmal, jetzt ist es zurück. Ohne zu
hinterfragen, warum und wieso halte ich alle paar Kilometer an und
versuche das ein wenig heraus zu massieren. Teilweise funktioniert das,
teilweise heißt es einfach: ignorieren, so gut es geht. Am Weg nach
Dienten biege ich gemeinsam mit einem anderen Läufer noch einmal falsch
ab, aber diesmal sind es nur ein paar Minuten Umweg. Ab dem Zeitpunkt
achte ich auf jedes einzelne Fähnchen.
In Dienten angekommen, wechsle ich vom Scott Supertrac RC Ultra auf
den Salomon Speedcross 5. Beides super Schuhe für lange Distanzen. Der
Wechsel ist nicht notwendig, aber meinem Kopf tut es gut, das Gefühl zu
haben, bei diesem großen Checkpoint frisch hinaus zu starten. Ein paar
Löffel Suppe, ein paar Kekse und es geht weiter.
Während ich in der Nacht mit Handschuhen unterwegs war, wird es jetzt
sommerlich warm. Ich fühle mich im flachen und bergauf immer noch sehr
gut. Der Weg schlängelt sich bergauf, ehe wir wieder mit dem Schnee in
Kontakt kommen. Schneefelder en masse. Matsch, Äste, Bäume. Zwei Schritt
vor, einer zurück. Keine einfache Aufgabe. Wenn es einem Tiefpunkt in
diesem Rennen gibt, dann ist er jetzt da. Vor mir sind Läufer, hinter
mir ebenso. Die Gespräche untereinander verstummen, es ist ruhig. Jeder
ist hier gefordert und darauf konzentriert, diesen Streckenabschnitt
möglichst gut hinter sich zu bringen. Eine gefühlte Ewigkeit dauert es,
bis wir wieder auf trockenen Untergrund stoßen. Wie einfach sich das
plötzlich anfühlt!
Noch ein Stück bergauf und dann geht es lange abwärts Richtung Hämmermoosalm. Eine schöne Forststraße – ohne Schnee. Herrlich. Das Knie streikt, ich bin langsam. Lösungen finden heißt die Devise. In dem Fall: So wenig wie möglich abwinkeln. Ich laufe also wie eine Holzpuppe bergab. Obwohl es richtig weh tut, bin ich nun wieder voller Zuversicht, denn es sind noch knapp 30 Kilometer bis ins Ziel und was, bitteschön, soll mich hier noch aufhalten?
Bei der Labe heißt es kurz stärken – ein Schluck Cola, ein paar Gummibären und dann folgen 900 Höhenmeter hinauf bis zum Aberg. Die Liftstation ist schon vom Tal aus sichtbar und weit, weit weg. Erst einmal müssen 2, 3 Kilometer am heißen Asphalt bewältigt werden. Irgendein Haus muss doch einen Brunnen haben! Bei diesem Rennen kommen wir Läufer durch mehrere Klimazonen. Winter in der Nacht, jetzt herrscht Hochsommer. Endlich ein Rinnsal neben der Straße. Dreckig, aber ausreichend. Die Kappe wird hineingesteckt, der Kopf gekühlt.
So ein Anstieg ist lang und ich beginne nachzudenken, wer wohl hinter mir ist und wie weit weg. Im vergangenen Jahr wurde ich auf den letzten 10 Kilometern von einigen Läuferinnen überholt, weil ‘der Ofen’ einfach aus war. Dass Tina weit weg ist, dessen bin ich mir sicher und das ist mir auch völlig egal, aber ich will heute auf dieses Podest. Und so bilde ich mir ein, dass mich sicher gleich wieder jemand von hinten überrollt. Ich habe ein Talent für Blech, das heißt den vierten Platz. Nicht heute, nein! So gut es geht, schiebe ich mich den Berg hinauf. “Komm schon, du bist stark”, sage ich immer wieder zu mir selbst. Während ich in der Mitte des Rennens moralisch wirklich am Boden war, bin ich jetzt wieder voll da. Die letzte Labe ist erreicht. Jo und Bettina warten dort – unter anderem mit Cola. Ein Traum! Nach kurzer Zeit mache ich mich wieder auf den Weg. Über 1.000 Höhenmeter bergab. In Humpel-Hüpf-Stock Taktik (was gäbe ich jetzt für eine Blackroll für mein Knie… ) rückt das Tal immer näher. Zähne zusammenbeißen und ans Ziel denken.
Maria Alm ist schon in Sichtweite, noch einmal geht es aber bergauf, etwa 250 Höhenmeter. Ich freue mich so sehr, dass ich offenbar noch immer auf Platz 2 bin, dass mir dieser letzte Anstieg so gar nichts mehr ausmacht. Sogar einen Wasserhahn an einem Haus finde ich und halte kurz meinen Kopf darunter. Das sind die kleinen Freuden im Leben!
Irgendwann ist es soweit, ein Schild mit der Aufschrift ‘FINISH’
weist den Weg nach unten. Man hört bereits den Zielsprecher. Noch einmal
ein Blick zurück – nein, da kommt niemand. Ich renne hinunter, biege in
die Zielkurve ein, schlage mit den Stöcken gegen die Kuhglocke und bin
da! 14 Stunden, 20 Minuten. Geschafft!
Sehr glücklich und dankbar lasse ich mir die Finisher Medaille umhängen, schnappe mir einen Schluck kühles, alkoholfreies Bier, stecke meine Beine in den Pool und genieße den Moment.
Wie wahr.
Danke Hochkönigman. Wir sehen uns am 6. Juni 2020!
2018 beschließe ich also, selbst zu starten. Die Strecke kenne ich und als ich einen Tag vorher Richtung Ebbs fahre, freue ich mich so richtig. Am Abend hole ich mir die Startnummer, danach das übliche Ritual: Alles am Bett ausbreiten, den Rucksack packen, Bekleidung griffbereit hinlegen und dann ab ins Bett. Je weniger man am Rennmorgen denken muss, umso besser
Sonntag Morgen: Die Marathonis (44 km Distanz) sind bereits um 7 Uhr gestartet, wir ’33er‘ beginnen das Rennen um 8 Uhr. Es geht hinaus aus Ebbs, erst gemächlich bergauf, nach 2 Kilometern geht es bereits ins Gelände und steil bergauf. Auf den ersten 5 Kilometern sind knapp 850 Höhenmeter zu bewältigen! Da ist es schwierig einen Rhythmus zu finden, das will mir zu Beginn auch nicht recht gelingen. Hinter mir ist eine ganze Schlange und immer wieder frage ich: „Wollts überholen? Ihr brauchts nur schreien!“ Aber immer wieder höre ich: „Nana, du bist ein guter Zug.“ Na gut, dann bin ich eben der Zug oder die Lokomotive…. Nach etwas mehr als einer Stunde ist die Vorderkaiserfeldenhütte erreicht und damit schon der schwierigste Brocken hinter uns. Kurz stärken und weiter hinein ins Kaisertal.
Jetzt wartet ein wirklich wunderschöner Höhenweg entlang des Zahmen Kaisers. Es ist technisch anspruchsvoll und ein stetiges auf und ab. Bei Kilometer 11 ist die Hochalm erreicht: Ein paar Manner Wafferl (zu deutsch ‚Schnitten‘) und dann geht der Weg schon weiter Richtung Stripsenjochhaus. Noch einmal ein längerer Anstieg und bei Kilometer 14 sind fast die ganzen Höhenmeter (insgesamt 1.730 auf unserer Strecke) absolviert. Jetzt bin ich so richtig im Flow, es läuft sehr rund und ich freue mich auf den Downhill Richtung Hinterbärenbad. Viele Stufen und Serpentinen warten auf uns, richtig feine Trails! Es macht richtig Spaß und es ist mir heute völlig egal, ob mich wer überholt, ob ich jemanden überhole, ich laufe einfach mein Tempo.
Bei Kilometer 20 ist das Anton-Karg-Haus erreicht, anschließend wird die Strecke einfacher – leichte Trails gemischt mit Forststraßen, vorbei an Gasthöfen und Almen. Die Wanderer rufen uns zu und motivieren uns Läufer. Man grüßt sich auf der Strecke. Der Koasamarsch ist nämlich – so nebenbei – nicht nur ein Lauf, sondern eben ein Marsch. So sind auf der Strecke auch etliche Wanderer unterwegs, die aber, das möchte ich hier betonen, überhaupt nicht stören. Ganz im Gegenteil: Es ist toll, nicht alleine auf der Strecke unterwegs zu sein, sondern ständig netten Leuten zu begegnen, die den Tag genauso genießen.
Etwa 10 Kilometer vor dem Ziel wird der Himmel immer dunkler und es
herrscht eine schwüle Hitze. Zum Glück finden sich immer wieder Quellen
und Brunnen, wo man kurz den Kopf ins Wasser stecken kann.
Die letzten Kilometer führen dann flach im Tal entlang, hier heißt es
nochmal alle Kräfte mobilisieren, um am heißen Asphalt gut ins Ziel zu
kommen. Nach exakt 33 Kilometern ist das Ziel erreicht: Arme in die
Höhe, lachen, glücklich und stolz auf das Geleistete sein!
Nach Cola und Dusche wartet noch eine gemütliche Siegerehrung und ein gutes Grillbuffet.
Der Koasamarsch ist auf jeden Fall eine Reise bzw. ein Rennen wert!
Text: Sigrid Huber
Titelbild: OFP Kommunikation
Die Vorbereitung in diesem Jahr war – wie vermutlich bei so vielen Läufern – alles andere als perfekt. Ein Monat Zwangspause im Februar, März und April liefen wieder gut, im Mai war (wie so oft, wenn man eine Familie hat) alles anders als geplant. Mitte Mai hatte ich sogar überlegt, ob ich den Lauf einfach streichen sollte – Hat ja keinen Sinn, oder? – , grübelte ich mehr als einmal vor mich hin. Aber anstatt die Flinte ins Korn zu werfen, zog ich andere Konsequenzen. Zum Beispiel löschte ich die Facebook App von meinem Handy. Ich wollte gar nicht mehr verleitet werden, zu sehen, auf welchem Gipfel wer wo gerade stand während ich zwischen Arbeit und Kindern nicht wusste, wie ich den Tag verlängern konnte.
Doch einen Vorteil haben Kinder: In ein Übertraining kann man nur schwer geraten und so kam ich sehr gut ausgeruht zum Rennen!
Auch wenn ich mir das Training anders vorgestellt hatte, ein Gefühl war diesmal besonders stark: Die Vorfreude auf diesen Tag.
Der Hochkönig ist für mich ein ganz besonderer Berg: Dort war ich als Kind mit 8 Jahren zum ersten Mal länger alleine von zu Hause weg, im Jungscharlager. Mit 12 war ich bei einem Berglager dabei, wo wir in Jogginghosen und Baumwollshirts den Hochkönig bestiegen. Ich weiß noch, dass ich mir gedacht hatte: Ich esse einfach ein Honigbrot mehr zum Frühstück, außerdem habe ich einen Rucksack, in dem eine Trinkflasche Platz hat. Das Wichtigste aber waren die Freunde und viel Spaß.
Diese Tage am Hochkönig gehören zu den schönsten Tagen meiner Kindheit, schon damals fühlte ich mich in der Natur und in den Bergen völlig frei.
Die Tage vor dem Rennen bin ich ungewöhnlich nervös. Die Zeit will nicht vergehen und die Tage vor einem Rennen, an denen man sich ausruhen sollte, mag ich nicht besonders gerne. Am Freitag geht es aber endlich nach Maria Alm, einige Stunden verbringe ich im Auto. Ich bin alleine und führe sicher eine Stunde lang Selbstgespräche. Es härt mich ja niemand.
– Das wird ein richtig gutes Rennen. Ich bin stark. Ich habe schon viele Rennen gemeistert. Der Start um Mitternacht wird ganz einfach. Die Höhenmeter sind einfach die Summe von mehreren Bergen. Vergiss nicht zu essen und zu trinken, nimm regelmäßig Salztabletten und schieb jeden negativen Gedanken sofort beiseite und tausch ihn mit etwas Positivem aus –
Das klingt wie aus dem Lehrbuch, aber genau so bin ich unterwegs. Ich nehme mir weder Platzierung noch Zeit vor, mein einziges Ziel ist es, mein Bestes zu geben, mein absolut Bestes.
Im Hotel Eder lungere ich am späten Nachmittag im Zimmer herum, zwinge mich etwas zu essen und hole mir anschließend die Startnummer. Es ist schön, dort Freunde zu treffen, allzu lange halte ich mich aber nicht auf, ich hoffe nämlich darauf vor dem Start um Mitternacht noch ein wenig schlafen zu können. Das gelingt mir tatsächlich für 45 Minuten, danach gibt es ein vormitternächtliches Frühstück und dann mache ich mich auf zur Rennbesprechung um 11 Uhr. Je näher der Start rückt, desto ruhiger werde ich. Das Wetter ist toll, es sind keine Gewitter angesagt und so stehe ich um kurz vor 12 fokussiert und glücklich am Start.
Die Feuershow stimmt uns Läufer ein und pünktlich zur Geisterstunde starten wir hinein in die Nacht. Gleich zu Beginn geht es aufwärts Richtung Natrun und Jufen Alm. Im leichten Laufschritt bin ich unterwegs, ich fühle mich gut. Das Tempo ist natürlich zu hoch, aber das ist mir egal – langsamer werden kann ich immer noch. Nach einigen Kilometern sind am Massingsattel bereits die ersten 850 Höhenmeter geschafft. Nachdem es am Vortag geregnet hat, ist es im Wald tropisch feucht. Der Nebel erinnert ans Autofahren, dreht man die Lampe nur minimal auf, sieht man fast nichts; macht man sie stärker, ist es auch nicht besser. Aber dank der reflektierenden Markierung ist das Finden des Weges nicht schwierig. Jetzt geht es erst einmal abwärts Richtung Hinterthal zur ersten Labe, danach gleich wieder aufwärts. Weil ich viel zu schnell gestartet bin, ist mir speiübel. Aber was habe ich mir vor dem Rennen vorgenommen? Positiv denken! Also sage ich mir: – Gut, dann k***t du eben irgendwo hin, deshalb geht die Welt auch nicht unter. Das passiert dann glücklicherweise doch nicht –
Der Weg führt über traumhafte Trails, wir klettern über Baumstämme, das Licht der Stirnlampen weist den Weg. Ich weiß nicht mehr woran ich denke, ich bin einfach bei mir und trotzdem, ich stolpere und knalle wie in Zeitlupe bäuchlings auf die Steine. Aua! Ein Krampf schießt mir in die Wade, mein Stock ist ein Stück den Abhang hinuntergerollt. – Are you ok? – , fragt mich ein Läufer hinter mir. – I think so, just a cramp and a few bruises – , was soviel bedeutet wie nur ein Krampf und ein paar Kratzer. Glück gehabt! Ich angle meinen zweiten Stock herauf und nach einem kleinen Schock geht es weiter. – Jetzt reiß dich zusammen – , sage ich mir. Mit mehr Konzentration laufe ich weiter.
Es geht zur Mitterbergalm, dort fand das oben beschriebene Jungscharlager statt. Damals waren wir cool, haben Blutsbrüderschaften geschlossen und in unseren Schlafsäcken die Nacht zum Tag gemacht. Wer hätte gedacht, dass ich 24 Jahre später wieder hierher kommen würde, um die Nacht zum Tag zu machen, nur diesmal eben laufend. Langsam dämmert es, bei der Labe am Arthurhaus (km 29) stärke ich mich kurz und dann geht es weiter Richtung Hochkeil. Auch dort wanderten wir damals hinauf – mit Wollpullover und einem einfachen Holzstock statt CarbonStöcken. Es ist einfach toll, sich mit einem Gebiet so emotional verbunden zu fühlen, das gibt mir wahnsinnig viel Kraft und ganz wie ich es mir vorgenommen habe, denke ich heute nur positiv. Kein: Warum tu ich mir das an, kein: Noch so weit, kein: So ein langer Berg, kein: Mir tut dieses und jenes weh. Ich bin gesund, fit, die Berge sind einfach nur super – und ich bin so richtig happy!
Jetzt geht es abwärts Richtung Mühlbach, Stefan von den Kilometerfressern überholt mich. Eigentlich sollte ich schreiben: Er fliegt an mir vorbei, was für ein Tempo – Ich bin flott unterwegs, achte aber heute genau darauf wo ich hinspringe.
Ich freue mich zur Labe in Mühlbach zu kommen. Wir sind schon bei Kilometer 39. Zu dem Zeitpunkt denkt meine Familie zuhause, dass mit dem Tracker irgendetwas nicht stimmt, denn ich bin viel schneller als erwartet („Wenn alles gut geht, werde ich wohl 15, 16 Stunden brauchen, es kann aber auch länger dauern“, habe ich vor dem Rennen daheim angekündigt).
Nach Mühlbach geht es auf den Schneeberg hinauf – ein Anstieg mit etwa 1000 Höhenmetern. Einen Fuß vor den anderen setzen, mein Tempo gehen, dann kann nichts passieren. Die Aussicht auf die umliegenden Berge ist gewaltig, was für ein Tag!
Unerwartet gut komme ich voran, plötzlich bin ich schon wieder im Abstieg Richtung Dienten. Ich helfe ein paar Läufern weiter, die den Weg nicht finden, ein wenig später warnen mich dieselben, als ich eine falsche Abzweigung nehme. Ein paar halblustige Wanderer haben an manchen Stellen die Schilder ein wenig verdreht und so ist nicht immer ganz klar, wo es lang geht.
In Dienten scheint die Sonne, dort warten auch die Wechselsäcke, wo man frische Bekleidung und Schuhe hinschicken konnte. Ich brauche eigentlich nichts, nehme aber ein paar Sachen aus dem Rucksack wie zum Beispiel meine zweite Stirnlampe, die ich aus Angst, es könnte etwas kaputt gehen, zur Sicherheit immer dabei habe.
Ein paar Waffeln, ein Becher Tee und weiter – die Sonne lacht, Läuferherz was willst du mehr?
Das Höhenprofil auf der Startnummer verrät, dass jetzt ein sehr, sehr langer Anstieg wartet. Die kommenden 15 Kilometer geht es fast durchgehend aufwärts. Die meiste Zeit seit Mitternacht bin ich alleine unterwegs, umso mehr freue ich mich, als ich auf zwei bekannte Gesichter treffe – auf Renä schließe ich auf, Gabriel sitzt gerade in der Sonne und macht eine kurze Pause. „Hey, erste Dame“ , ruft er mir zu. „Was?“, antworte ich.
Bei so einem Rennen hat man überhaupt keine Ahnung wer wo positioniert ist. Er erzählt mir, er habe bei der Labestelle gefragt und es sei noch keine Dame vorbeigekommen. Ich liege also wirklich an erster Stelle? Nachdem aber noch 1500 Höhenmeter und mehr als 30 Kilometer auf uns warten, mache ich mir darüber noch nicht allzu viele Gedanken. Ich versuche weiterhin, das Rennen zu genießen, unterhalte mich gut, esse, trinke, nehme in der Hitze wieder einmal eine Salztablette und steige aufwärts. Vor lauter reden wählen wir ein paarmal eine falsche Abzweigung, aber allzu weit kommen wir nie vom Weg ab.
Es folgen der Klingspitz und ein langer, langer Grat Richtung Statzerhaus. „Schau mal, da drüben ist die nächste Labe“, rufe ich Rene zu. Das scheint aber noch meilenweit entfernt zu sein. Geht es links am Zaun entlang oder rechts? Zum fünften Mal klettere ich über den Stacheldraht, irgendwie landen wir immer wieder auf der falschen Seite. Der Weg ist aber eigentlich überall gleich, nämlich sehr schwer laufbar, man kann sich diesen vorstellen wie einen Fleckerlteppich aus Wiesenpolstern. Jetzt überholen uns einige Läufer des Marathontrails – macht nichts, wir haben schon viele Kilometer und Höhenmeter in den Beinen. Der Schweiß tropft von der Stirn, die Sonne knallt herab und langsam ist das Wasser in den Trinkflaschen zu Ende. Aber es ist nicht mehr weit bis zur letzten größeren Labe – nur noch über ein Schneefeld, dann rückt das Statzerhaus auf 2100 Metern in Sichtweite. Wer es bis hierher geschafft hat – km 70 / 4.600 HM – schafft es bis ins Ziel.
An der Labe warten Bettina und Jo, es ist schön bekannte Gesichter zu treffen! Eins der ersten Dinge, die sie mir dort sagen: „Die erste Dame! Komm schon, das läufst du jetzt heim“ , sagt Bettina zu mir.
Ich fülle meine Wasserflaschen auf, trinke einen Becher Cola und mache mich schnell wieder auf den Weg. 15 Kilometer und 450 Höhenmeter bis ins Ziel. Ich bin an erster Stelle, geistert es mir durch den Kopf. Wie kann das sein? Der Gedanke macht mich nervös, treibt mich aber auch an. Es geht am Grat entlang Richtung Schwalbenwand, bergauf, bergab, immer wieder. Die Kraft in meinen Beinen lässt mittlerweile zu wünschen übrig, trotzdem versuche ich so viel wie möglich zu laufen. Erst jetzt bemerke ich, dass Rene und Gabriel wohl noch bei der Labe sind. Mit schlechtem Gewissen schaue ich zurück – ich bin so in meinem eigenen Rennen, dass ich ganz vergessen habe zu fragen ob es ok ist, dass ich weiterziehe.
Da oben – ein Gipfelkreuz! Ist das die Schwalbenwand? Das muss jetzt der letzte Berg sein. Doch dann lese ich: Schönwieskopf, blicke am Grat entlang und sehe den wirklich letzten Gipfel. Das bedeutet: Noch einmal hinunter, wieder hinauf. „Ganz locker, geht schon, du packst das mit links, es ist für alle gleich hart, gut, dass du noch Reserven hast“, rede ich mir zu. Das kleine Schneefeld am Weg ist keine Fata Morgana, ich nehme eine Handvoll und stecke den kalten Schnee unter meine Kappe – das kühlt und gibt Energie. Kurz vor dem Gipfel treffe ich wieder auf Freunde, die mich motivieren. Michi Kabicher vom Boa Team fotografiert und versichert mir, dass nur noch 20 Höhenmeter vor mir liegen. „Don geds owi!“
Noch immer hat mich keine Frau eingeholt. Jetzt aber! Jegliche Schmerzen und Wehwehchen sind egal, ich weiß, dass ich schnell bergab laufen kann und genau das mache ich jetzt! Von hinten kommende Marathonläufer rufen mir zu:
Super Mädl!
An der allerletzten Labe schnappe ich mir ein paar Gummibärchen – zur Freude der Helfer dort. „Schau, ich habs dir ja gesagt, dass hier noch jemand was Süßes braucht!“ – und dann sause ich den Berg weiter abwärts. Noch 5 Kilometer, noch 4, noch 3, – kann es wirklich sein, dass da niemand kommt?
Endlich: Der letzte Kilometer hinein nach Maria Alm – noch 500 Meter – noch einmal umdrehen, jetzt glaube ich es doch!
Ich komme aus dem Strahlen nicht mehr heraus, laufe durchs Ziel: Unglaublich!
Was für ein genialer Tag! Platz 1! Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Ich bin einfach nur glücklich, zufrieden und dankbar.
Danke an das ganze Team vom Hochkönigman für die perfekt organisierte Veranstaltung und eine traumhafte Strecke.
Danke liebes Leben für einen Tag, den ich nie vergessen werde.
Bilder, die nicht mit trailrunning-szene.at vermerkt sind:
Nachtfoto ganz oben: Karin Fahrengruber
Restliche Bilder: Sportograf
Zum ersten Mal höre ich vom Bergmarathon. Ich bin 14 Jahre alt und war selbst noch nie am Traunstein. Zu gefährlich, zu ausgesetzt sei er; meine Eltern wollen nicht erlauben, dass ich diesen Berg besteige, der so imposant am Eingang des Salzkammerguts herausragt.
Obwohl ich schon damals genau weiß, dass ich noch sehr oft in meinem Leben auf diesem Berg stehen werde, kann ich nicht glauben, dass es Leute geben soll, die den ganzen Traunsee über alle Berge umrunden und dabei 70 Kilometer und 4.500 Höhenmeter bewältigen. für mich ist das unfassbar, ist doch ein einziger Berg schon eine gewaltige Herausforderung.
Mittlerweile habe ich so einige Langstreckenbewerbe absolviert, der
Traunsee Bergmarathon ist für mich nach wie vor kein Thema. Warum? Der
Traunstein ist, meiner Ansicht nach, kein Berg zum Laufen. Zwar ist der
Naturfreunde-Steig seilversichert, dennoch reicht ein einziger falscher
Schritt, um im Nirvana zu landen.
Nachdem ich aber im Herbst eine größere Reportage um den Bergmarathon
mache, wird mir eines bewusst: Gefahren gibt es auf jedem Berg, man muss
nur persönlich richtig damit umgehen können. Niemand zwingt mich dazu,
unvorsichtig zu sein, also folgt bald darauf die Anmeldung – .
Ein Tag vor dem Rennen: Ich bin ungewöhnlich aufgeregt. Das Essen schmeckt mir nicht mehr, ich bin nicht ich selbst. Zum Glück feiert unsere Tochter ihren 1. Geburtstag, Torte verzieren, Geschenke verpacken, feiern, das lenkt ein wenig ab.
Am Abend bereite ich meinen Rucksack vor, Erste-Hilfe-Paket, Handy, und eine zweite Schicht Bekleidung sind für mich am Berg eine Selbstverständlichkeit, egal ob es der Veranstalter vorschreibt oder nicht.
Eigentlich sollte ich früh schlafen gehen, der Startschuss fällt um 3 Uhr. Um 22:30 zwinge ich mich ins Bett, um 23:00 Uhr denke ich: „2 Stunden noch Zeit zum schlafen.“ – Irgendwann finde ich in einen sehr unruhigen Schlaf. Als um 1 Uhr der Wecker klingelt bin ich sofort hellwach und unendlich froh, dass der Tag X gekommen ist.
Ein kleines Frühstück, dazu eine Tasse Kaffee und dann fahre ich nach Gmunden. Am Start unterhalte ich mich ein wenig mit Bekannten. Nachdem sich das Gespräch plötzlich um die ’schlimmsten‘ Streckenabschnitte und Blitzopfer vom Traunstein dreht (und ich ohnehin wegen der Wetterprognose beunruhigt bin), beschließe ich, die letzte Zeit lieber alleine zu verbringen und die Konzentration auf mich selbst zu lenken. Ich will die letzten 10 Minuten ganz bei mir sein, die Zeit nutzen um meine Energie in eine positive Richtung zu lenken.
Startschuss
Pünktlich um 3 Uhr laufen wir aus Gmunden hinaus, vorbei an den vielen Nachtschwärmern – „Hoppauf, Voigas!“ – Richtung Grünberg. 400 Höhenmeter auf einem einfachen Weg sind genau richtig zum Aufwärmen, ich finde ein gutes Tempo und arbeite mich aufwärts. Nach etwa 45 Minuten gibt es einen Becher Wasser, ehe es wieder bergab geht Richtung Traunsee. Warum sehe ich so schlecht? frage ich mich die ganze Zeit, bis ich bemerke, dass ich meine Stirnlampe im Minimalmodus aufgedreht habe. Nachdem ich nach einer kleinen ‚Aufhellung‘ sogar den Boden sehe, komme ich sehr gut voran. Auf grobem Geröll heißt es gut aufpassen, nichts überstürzen und gut und sicher zur ersten Labestelle kommen. Dort greife ich bei den Keksen zu und schon geht es weiter durch die Lainau-Tunnel Richtung Naturfreundesteig.
Für das Rennen habe ich mir zwei Dinge vorgenommen:
1. Beherzt laufen und versuchen, das Beste aus mir herauszuholen
2. Am Traunsteig mit Handbremse unterwegs sein. Wie oben beschrieben, begegne ich Bergen mit viel Respekt. Dazu kommt, dass ich vor etwa zwei Wochen Glück hatte, als zwei Wanderer vor mir einen Steinschlag ausgelöst haben.
Traunstein
Ich beginne, ruhig und kontrolliert aufzusteigen. Von überholenden Läufern lasse ich mich nicht beirren, der Tag ist noch lange. Eine größere Gruppe Männer bleibt hinter mir „Du gehst eh a guats Tempo, des passt scho“. Bei Naturfreundehaus auf ca. 1.500 m angekommen, verzichte ich auf eine Pause. Meine Flaschen sind noch halb voll, das reicht für den Abstieg. Beim Abstieg zur Mair-Alm heißt es aufpassen, der vermeintlich einfachste Abstieg vom ‚Stoa‘ hat bis zum Bründl auf 1.100 m zahlreiche Tücken. Nach etwa 15 Minuten Abstieg liegt plötzlich ein Läufer am Weg und stähnt. Erst vermute ich einen Krampf. „Alles ok bei dir?“, frage ich. Nach einem kurzen Gespräch wird klar, dass er umgeknickt ist. Er hat kein Handy dabei und so rufe ich für ihn Organisator Harald an, damit dieser Bescheid weiß und ggf. die Bergrettung hinaufschicken kann. Der Läufer versichert mir aber, dass er soweit ok ist und versuchen wird, alleine abzusteigen. Zum Glück ist nicht mehr passiert, aber an dieser Stelle: Bitte liebe Leute, auch wenn es ein Rennen ist, das Handy gehört ins Gepäck!
Beruhigt kann es weitergehen, die Schnellsten rasen hier in 15-20 Minuten hinunter, ich brauche 40 Minuten. Als langsam würde ich das nicht bezeichnen, aber Sicherheit geht vor und meinen Kindern ist es herzlich egal, ob ich früher oder später mit ihnen ins Ziel laufe.
Erleichtert geht es weiter Richtung Karbach, ich verlaufe mich ein kleines Stück, nicht wegen der Markierung (diese ist perfekt gesetzt), sondern weil ich mit den Gedanken woanders bin. Auf jeden Fall bin ich guter Dinge, der Spitzlstein von dem ich schon so viel gehört habe, kann kommen. Als der Weg dorthin beginnt, wird mir klar: die Erzählungen sind nicht übertrieben, ganz im Gegenteil. Ein schmaler, rutschiger und abschüssiger Weg führt erst am See entlang. Jeder Schritt will gut gesetzt sein. Nach einer Weile geht es steil bergauf. wäre der Weg nicht so gut markiert, würde ich denken, das sei irgendein Jägersteig. Schmal, rutschig und unglaublich steil. Ich ziehe mich an Wurzeln hinauf, klettere unter Baumstämmen durch, über andere darüber. So mancher Teilnehmer sitzt am Wegesrand und rastet sich für eine kurze Zeit aus. Nach einer gefühlten Ewigkeit und wiederkehrenden Zweifeln, ob das wirklich der richtige Weg sein kann, erreiche ich die Drahtseilversicherungen – die Alm und damit das Ende dieses kräfteraubenden Anstiegs ist zum Greifen nahe. Bei der Labestation angekommen, gönne ich mir einen Becher Cola und dann geht es hinunter Richtung Ebensee. Der Weg ist toll – rutschig, aber laufbar. Ich überhole einige Läufer und freue mich auf die Halbzeit in Ebensee! Bevor ich diesen Teilerfolg feiern kann, folgen noch einige heiße Asphaltkilometer. Augen zu und durch – Nach 6:25 h ist ein großer Teil geschafft. Ein Schinken-Käseweckerl mit viel Salz, wieder Cola, Wasserflaschen auffüllen und schon geht es weiter.
Glühender Feuerkogel
Jetzt beginnt der letzte lange Anstieg hinauf Richtung Feuerkogel. Die ersten 200 Höhenmeter fühle ich mich noch blendend, dann kommt der große Einbruch. Mir ist schlecht, unendlich schlecht. Seit dem Start ist es heute wahnsinnig schwül, bin ich hier am Berg oder in den Tropen? Zumindest geht es nicht nur mir so, auch die anderen Läufer um mich haben zu kämpfen, immer wieder rastet jemand. Ich bleibe stehen, stütze mich auf meine Stöcke. Was tun? Zumindest habe ich genug Ultra-Erfahrung, um zu wissen, dass diese Phase normal ist. Angenehmer wird es dadurch aber nicht. Ich rede mir ein: Das ist jetzt eben ein kleines Problem, lass dir was einfallen, damit es besser wird!
So zwinge ich mich zu ein wenig Schokolade, nochmals viel Wasser und gehe einfach weiter – brutal langsam, aber jeder einzelne Schritt führt mich Richtung Feuerkogel. Ich starre auf meine Uhr, die Anzeige der aktuellen Höhe steigt im Zeitlupentempo – 800, 900, – auf einmal häre ich jemanden von hinten. „Ja Sigrid, Hallo!“ – Es ist Alfred, den ich schon vom Via Natura und Dirndltal Ultra kenne. Was bin ich froh, ihn zu sehen! Irgendwie weckt das meine Lebensgeister, wir gehen gemeinsam weiter und beschließen, zusammen zu bleiben. Mit netten Gesprächen über das bereits Erlebte lässt sich dieser Anstieg viel besser meistern. Als wir 200 Höhenmeter vor dem Plateau die Skipiste erreichen, brennt die Sonne gnadenlos auf uns herab, die Steine sind aufgeheizt, ich fühle mich wie in der Sauna. „Sigrid, alles ok?“, ruft Alfred. „Ja, passt schon!“ rufe ich zurück. Es gibt ohnehin nur einen Weg und dieser führt aufwärts. Nach gut 2 Stunden ist endlich die nächste Kontrollstelle erreicht. Nie hat Cola besser geschmeckt! Weil ich alles Essbare nicht mehr sehen kann, fülle ich mir das Zuckerwasser gleich in eine Trinkflasche. Bei dem Wetter und der Anstrengung ist eins der wichtigsten Dinge die konstante Energiezufuhr, egal ob gesund oder nicht – in Cola steckt ein Berg Zucker und genau dieser bringt mich weiter.
Rutschpartie Richtung Kreh
Der Weg vom Feuerkogel führt uns abwärts Richtung Kreh. Wir freuen uns, endlich abwärts laufen zu können, doch die Freude währt nur kurz. Der Abstieg ist rutschig wie Schmierseife. Jeder Stein, jede Wurzel ist nass, der Rest vom Weg ist matschig. Es gilt, nach über 8 Stunden Laufzeit, die Konzentration aufrecht zu erhalten, nicht an irgendeine Zeit zu denken, sondern einen Fuß sicher vor den anderen zu setzen. Teils auf allen vieren bewältigen wir die tückischsten Stellen, als wir endlich die Forststraße Richtung Kreh erreichen, sind wir heilfroh. Mittlerweile bin ich ziemlich müde, es sind nicht die Beine, die eine Pause möchten, sondern die Hitze setzt mir heute gewaltig zu. Aber wir schaffen das! Was sind schon 20 Kilometer, die noch ausständig sind –
Erst geht es hinauf zur Hochsteinalm, ein schöner Weg durch den Wald, dann wieder abwärts auf einer Forststraße.
Die letzten beiden Berge
Nur Grasberg und Gmundnerberg trennen uns noch vom Ziel. Die Strecke habe ich mir im Vorfeld nicht angesehen, hätte ich das getan, wüsste ich, dass im letzten Stück hundsgemeine Asphaltpassagen auf uns Läufer warten. In der Mittagshitze laufen wir die Straße entlang, bergauf gehen wir. Dem Kreislauf gefällt die Kombination aus Anstrengung und schwüler Hitze nicht besonders, so stecke ich bei jeder Gelegenheit meinen Kopf ins kalte Wasser. Bei den Kontrollstellen trinken wir nur kurz und schon geht es weiter. kämpfen, kämpfen, kämpfen, lautet das Motto. Und so erreichen wir den Gmundnerberg – eine letzte Abkühlung – und abwärts Richtung Gmunden. Das Ziel ist in greifbarer Nähe, es heißt ein letztes Mal aufpassen beim – wieder rutschigen – Abstieg vom Gmundnerberg. Die Beine wollen längst nicht mehr, aber der Kopf entscheidet, wir laufen und laufen, bis wir endlich die Esplanade erreichen. Die Leute jubeln uns zu, feuern uns an, es ist eine ganz besondere Stimmung. 300 Meter vor dem Ziel wartet mein Sohn Jakob auf mich, er läuft natürlich mit ins Ziel. Hand in Hand geht es über die Ziellinie – ein Traum! Ich habe es wirklich geschafft. Die Medaille vom Traunsee Bergmarathon wird einen besonderen Platz einnehmen. Stolz, glücklich und zufrieden nehme ich die letzten Meter Richtung See in Angriff, springe hinein und weiß, dass ich heute etwas ganz Besonderes geleistet habe.
Am nächsten Tag erfahre ich von dem Unglück von Marcus B. (wir haben auf Trailrunning Szene berichtet). Ich bin nach wie vor tief betroffen und traurig, dass ein junger Sportler bei seiner – vermutlich liebsten Beschäftigung – sein Leben lassen musste. Jeder Teilnehmer beim Bergmarathon ist sich der Risiken bewusst und bereitet sich intensiv darauf vor. Wir schäpfen unheimlich viel Kraft und Energie aus Bergen, Natur und diesen intensiven Erlebnissen. Vor Unfällen und Gefahren ist aber niemand gefeit, sei es bei einer vermeintlich einfachen Wanderung oder bei einer anstrengenden Tour. Mehr möchte ich dazu gar nicht schreiben, sondern nur noch sagen: Lieber Marcus, Alles Gute auf deiner letzten Reise, vielleicht lächelst du beim nächsten Bergmarathon von oben auf uns herab. Wir werden ganz sicher an dich denken.
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