Es gibt Rennen, die man als Trailläufer auf seiner Liste hat. Die Liste, auf der Wünsche, Träume und Ziele vermerkt sind. Vieles davon konnte ich schon verwirklichen – Transalpine Run, Großglockner Ultratrail, Ironman und mehr. Seit 2 Jahren war auch der Hochkönigman darauf zu finden und heuer sollte es endlich so weit sein – 3. Juni, Startschuss um Mitternacht. Die Strecke: 85 Kilometer und 5.000 Höhenmeter.
Die Vorbereitung in diesem Jahr war – wie vermutlich bei so vielen Läufern – alles andere als perfekt. Ein Monat Zwangspause im Februar, März und April liefen wieder gut, im Mai war (wie so oft, wenn man eine Familie hat) alles anders als geplant. Mitte Mai hatte ich sogar überlegt, ob ich den Lauf einfach streichen sollte – Hat ja keinen Sinn, oder? – , grübelte ich mehr als einmal vor mich hin. Aber anstatt die Flinte ins Korn zu werfen, zog ich andere Konsequenzen. Zum Beispiel löschte ich die Facebook App von meinem Handy. Ich wollte gar nicht mehr verleitet werden, zu sehen, auf welchem Gipfel wer wo gerade stand während ich zwischen Arbeit und Kindern nicht wusste, wie ich den Tag verlängern konnte.
Doch einen Vorteil haben Kinder: In ein Übertraining kann man nur schwer geraten und so kam ich sehr gut ausgeruht zum Rennen!
Auch wenn ich mir das Training anders vorgestellt hatte, ein Gefühl war diesmal besonders stark: Die Vorfreude auf diesen Tag.
Der Hochkönig ist für mich ein ganz besonderer Berg: Dort war ich als Kind mit 8 Jahren zum ersten Mal länger alleine von zu Hause weg, im Jungscharlager. Mit 12 war ich bei einem Berglager dabei, wo wir in Jogginghosen und Baumwollshirts den Hochkönig bestiegen. Ich weiß noch, dass ich mir gedacht hatte: Ich esse einfach ein Honigbrot mehr zum Frühstück, außerdem habe ich einen Rucksack, in dem eine Trinkflasche Platz hat. Das Wichtigste aber waren die Freunde und viel Spaß.
Diese Tage am Hochkönig gehören zu den schönsten Tagen meiner Kindheit, schon damals fühlte ich mich in der Natur und in den Bergen völlig frei.
Die Tage vor dem Rennen bin ich ungewöhnlich nervös. Die Zeit will nicht vergehen und die Tage vor einem Rennen, an denen man sich ausruhen sollte, mag ich nicht besonders gerne. Am Freitag geht es aber endlich nach Maria Alm, einige Stunden verbringe ich im Auto. Ich bin alleine und führe sicher eine Stunde lang Selbstgespräche. Es härt mich ja niemand.
– Das wird ein richtig gutes Rennen. Ich bin stark. Ich habe schon viele Rennen gemeistert. Der Start um Mitternacht wird ganz einfach. Die Höhenmeter sind einfach die Summe von mehreren Bergen. Vergiss nicht zu essen und zu trinken, nimm regelmäßig Salztabletten und schieb jeden negativen Gedanken sofort beiseite und tausch ihn mit etwas Positivem aus –
Das klingt wie aus dem Lehrbuch, aber genau so bin ich unterwegs. Ich nehme mir weder Platzierung noch Zeit vor, mein einziges Ziel ist es, mein Bestes zu geben, mein absolut Bestes.
Im Hotel Eder lungere ich am späten Nachmittag im Zimmer herum, zwinge mich etwas zu essen und hole mir anschließend die Startnummer. Es ist schön, dort Freunde zu treffen, allzu lange halte ich mich aber nicht auf, ich hoffe nämlich darauf vor dem Start um Mitternacht noch ein wenig schlafen zu können. Das gelingt mir tatsächlich für 45 Minuten, danach gibt es ein vormitternächtliches Frühstück und dann mache ich mich auf zur Rennbesprechung um 11 Uhr. Je näher der Start rückt, desto ruhiger werde ich. Das Wetter ist toll, es sind keine Gewitter angesagt und so stehe ich um kurz vor 12 fokussiert und glücklich am Start.
Die Feuershow stimmt uns Läufer ein und pünktlich zur Geisterstunde starten wir hinein in die Nacht. Gleich zu Beginn geht es aufwärts Richtung Natrun und Jufen Alm. Im leichten Laufschritt bin ich unterwegs, ich fühle mich gut. Das Tempo ist natürlich zu hoch, aber das ist mir egal – langsamer werden kann ich immer noch. Nach einigen Kilometern sind am Massingsattel bereits die ersten 850 Höhenmeter geschafft. Nachdem es am Vortag geregnet hat, ist es im Wald tropisch feucht. Der Nebel erinnert ans Autofahren, dreht man die Lampe nur minimal auf, sieht man fast nichts; macht man sie stärker, ist es auch nicht besser. Aber dank der reflektierenden Markierung ist das Finden des Weges nicht schwierig. Jetzt geht es erst einmal abwärts Richtung Hinterthal zur ersten Labe, danach gleich wieder aufwärts. Weil ich viel zu schnell gestartet bin, ist mir speiübel. Aber was habe ich mir vor dem Rennen vorgenommen? Positiv denken! Also sage ich mir: – Gut, dann k***t du eben irgendwo hin, deshalb geht die Welt auch nicht unter. Das passiert dann glücklicherweise doch nicht –
Der Weg führt über traumhafte Trails, wir klettern über Baumstämme, das Licht der Stirnlampen weist den Weg. Ich weiß nicht mehr woran ich denke, ich bin einfach bei mir und trotzdem, ich stolpere und knalle wie in Zeitlupe bäuchlings auf die Steine. Aua! Ein Krampf schießt mir in die Wade, mein Stock ist ein Stück den Abhang hinuntergerollt. – Are you ok? – , fragt mich ein Läufer hinter mir. – I think so, just a cramp and a few bruises – , was soviel bedeutet wie nur ein Krampf und ein paar Kratzer. Glück gehabt! Ich angle meinen zweiten Stock herauf und nach einem kleinen Schock geht es weiter. – Jetzt reiß dich zusammen – , sage ich mir. Mit mehr Konzentration laufe ich weiter.
Es geht zur Mitterbergalm, dort fand das oben beschriebene Jungscharlager statt. Damals waren wir cool, haben Blutsbrüderschaften geschlossen und in unseren Schlafsäcken die Nacht zum Tag gemacht. Wer hätte gedacht, dass ich 24 Jahre später wieder hierher kommen würde, um die Nacht zum Tag zu machen, nur diesmal eben laufend. Langsam dämmert es, bei der Labe am Arthurhaus (km 29) stärke ich mich kurz und dann geht es weiter Richtung Hochkeil. Auch dort wanderten wir damals hinauf – mit Wollpullover und einem einfachen Holzstock statt CarbonStöcken. Es ist einfach toll, sich mit einem Gebiet so emotional verbunden zu fühlen, das gibt mir wahnsinnig viel Kraft und ganz wie ich es mir vorgenommen habe, denke ich heute nur positiv. Kein: Warum tu ich mir das an, kein: Noch so weit, kein: So ein langer Berg, kein: Mir tut dieses und jenes weh. Ich bin gesund, fit, die Berge sind einfach nur super – und ich bin so richtig happy!
Jetzt geht es abwärts Richtung Mühlbach, Stefan von den Kilometerfressern überholt mich. Eigentlich sollte ich schreiben: Er fliegt an mir vorbei, was für ein Tempo – Ich bin flott unterwegs, achte aber heute genau darauf wo ich hinspringe.
Ich freue mich zur Labe in Mühlbach zu kommen. Wir sind schon bei Kilometer 39. Zu dem Zeitpunkt denkt meine Familie zuhause, dass mit dem Tracker irgendetwas nicht stimmt, denn ich bin viel schneller als erwartet („Wenn alles gut geht, werde ich wohl 15, 16 Stunden brauchen, es kann aber auch länger dauern“, habe ich vor dem Rennen daheim angekündigt).
Nach Mühlbach geht es auf den Schneeberg hinauf – ein Anstieg mit etwa 1000 Höhenmetern. Einen Fuß vor den anderen setzen, mein Tempo gehen, dann kann nichts passieren. Die Aussicht auf die umliegenden Berge ist gewaltig, was für ein Tag!
Unerwartet gut komme ich voran, plötzlich bin ich schon wieder im Abstieg Richtung Dienten. Ich helfe ein paar Läufern weiter, die den Weg nicht finden, ein wenig später warnen mich dieselben, als ich eine falsche Abzweigung nehme. Ein paar halblustige Wanderer haben an manchen Stellen die Schilder ein wenig verdreht und so ist nicht immer ganz klar, wo es lang geht.
In Dienten scheint die Sonne, dort warten auch die Wechselsäcke, wo man frische Bekleidung und Schuhe hinschicken konnte. Ich brauche eigentlich nichts, nehme aber ein paar Sachen aus dem Rucksack wie zum Beispiel meine zweite Stirnlampe, die ich aus Angst, es könnte etwas kaputt gehen, zur Sicherheit immer dabei habe.
Ein paar Waffeln, ein Becher Tee und weiter – die Sonne lacht, Läuferherz was willst du mehr?
Das Höhenprofil auf der Startnummer verrät, dass jetzt ein sehr, sehr langer Anstieg wartet. Die kommenden 15 Kilometer geht es fast durchgehend aufwärts. Die meiste Zeit seit Mitternacht bin ich alleine unterwegs, umso mehr freue ich mich, als ich auf zwei bekannte Gesichter treffe – auf Renä schließe ich auf, Gabriel sitzt gerade in der Sonne und macht eine kurze Pause. „Hey, erste Dame“ , ruft er mir zu. „Was?“, antworte ich.
Bei so einem Rennen hat man überhaupt keine Ahnung wer wo positioniert ist. Er erzählt mir, er habe bei der Labestelle gefragt und es sei noch keine Dame vorbeigekommen. Ich liege also wirklich an erster Stelle? Nachdem aber noch 1500 Höhenmeter und mehr als 30 Kilometer auf uns warten, mache ich mir darüber noch nicht allzu viele Gedanken. Ich versuche weiterhin, das Rennen zu genießen, unterhalte mich gut, esse, trinke, nehme in der Hitze wieder einmal eine Salztablette und steige aufwärts. Vor lauter reden wählen wir ein paarmal eine falsche Abzweigung, aber allzu weit kommen wir nie vom Weg ab.
Es folgen der Klingspitz und ein langer, langer Grat Richtung Statzerhaus. „Schau mal, da drüben ist die nächste Labe“, rufe ich Rene zu. Das scheint aber noch meilenweit entfernt zu sein. Geht es links am Zaun entlang oder rechts? Zum fünften Mal klettere ich über den Stacheldraht, irgendwie landen wir immer wieder auf der falschen Seite. Der Weg ist aber eigentlich überall gleich, nämlich sehr schwer laufbar, man kann sich diesen vorstellen wie einen Fleckerlteppich aus Wiesenpolstern. Jetzt überholen uns einige Läufer des Marathontrails – macht nichts, wir haben schon viele Kilometer und Höhenmeter in den Beinen. Der Schweiß tropft von der Stirn, die Sonne knallt herab und langsam ist das Wasser in den Trinkflaschen zu Ende. Aber es ist nicht mehr weit bis zur letzten größeren Labe – nur noch über ein Schneefeld, dann rückt das Statzerhaus auf 2100 Metern in Sichtweite. Wer es bis hierher geschafft hat – km 70 / 4.600 HM – schafft es bis ins Ziel.
An der Labe warten Bettina und Jo, es ist schön bekannte Gesichter zu treffen! Eins der ersten Dinge, die sie mir dort sagen: „Die erste Dame! Komm schon, das läufst du jetzt heim“ , sagt Bettina zu mir.
Ich fülle meine Wasserflaschen auf, trinke einen Becher Cola und mache mich schnell wieder auf den Weg. 15 Kilometer und 450 Höhenmeter bis ins Ziel. Ich bin an erster Stelle, geistert es mir durch den Kopf. Wie kann das sein? Der Gedanke macht mich nervös, treibt mich aber auch an. Es geht am Grat entlang Richtung Schwalbenwand, bergauf, bergab, immer wieder. Die Kraft in meinen Beinen lässt mittlerweile zu wünschen übrig, trotzdem versuche ich so viel wie möglich zu laufen. Erst jetzt bemerke ich, dass Rene und Gabriel wohl noch bei der Labe sind. Mit schlechtem Gewissen schaue ich zurück – ich bin so in meinem eigenen Rennen, dass ich ganz vergessen habe zu fragen ob es ok ist, dass ich weiterziehe.
Da oben – ein Gipfelkreuz! Ist das die Schwalbenwand? Das muss jetzt der letzte Berg sein. Doch dann lese ich: Schönwieskopf, blicke am Grat entlang und sehe den wirklich letzten Gipfel. Das bedeutet: Noch einmal hinunter, wieder hinauf. „Ganz locker, geht schon, du packst das mit links, es ist für alle gleich hart, gut, dass du noch Reserven hast“, rede ich mir zu. Das kleine Schneefeld am Weg ist keine Fata Morgana, ich nehme eine Handvoll und stecke den kalten Schnee unter meine Kappe – das kühlt und gibt Energie. Kurz vor dem Gipfel treffe ich wieder auf Freunde, die mich motivieren. Michi Kabicher vom Boa Team fotografiert und versichert mir, dass nur noch 20 Höhenmeter vor mir liegen. „Don geds owi!“
Noch immer hat mich keine Frau eingeholt. Jetzt aber! Jegliche Schmerzen und Wehwehchen sind egal, ich weiß, dass ich schnell bergab laufen kann und genau das mache ich jetzt! Von hinten kommende Marathonläufer rufen mir zu:
Super Mädl!
An der allerletzten Labe schnappe ich mir ein paar Gummibärchen – zur Freude der Helfer dort. „Schau, ich habs dir ja gesagt, dass hier noch jemand was Süßes braucht!“ – und dann sause ich den Berg weiter abwärts. Noch 5 Kilometer, noch 4, noch 3, – kann es wirklich sein, dass da niemand kommt?
Endlich: Der letzte Kilometer hinein nach Maria Alm – noch 500 Meter – noch einmal umdrehen, jetzt glaube ich es doch!
Ich komme aus dem Strahlen nicht mehr heraus, laufe durchs Ziel: Unglaublich!
Was für ein genialer Tag! Platz 1! Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Ich bin einfach nur glücklich, zufrieden und dankbar.
Danke an das ganze Team vom Hochkönigman für die perfekt organisierte Veranstaltung und eine traumhafte Strecke.
Danke liebes Leben für einen Tag, den ich nie vergessen werde.
Bilder, die nicht mit trailrunning-szene.at vermerkt sind:
Nachtfoto ganz oben: Karin Fahrengruber
Restliche Bilder: Sportograf
Ich laufe seit vielen Jahren Ultratrails und bin seit 20 Jahren im Ausdauersport aktiv. Meine Erfahrung möchte ich an dich weitergeben.
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