Ein besonderes Erlebnis
Zum ersten Mal höre ich vom Bergmarathon. Ich bin 14 Jahre alt und war selbst noch nie am Traunstein. Zu gefährlich, zu ausgesetzt sei er; meine Eltern wollen nicht erlauben, dass ich diesen Berg besteige, der so imposant am Eingang des Salzkammerguts herausragt.
Obwohl ich schon damals genau weiß, dass ich noch sehr oft in meinem Leben auf diesem Berg stehen werde, kann ich nicht glauben, dass es Leute geben soll, die den ganzen Traunsee über alle Berge umrunden und dabei 70 Kilometer und 4.500 Höhenmeter bewältigen. für mich ist das unfassbar, ist doch ein einziger Berg schon eine gewaltige Herausforderung.
Mittlerweile habe ich so einige Langstreckenbewerbe absolviert, der
Traunsee Bergmarathon ist für mich nach wie vor kein Thema. Warum? Der
Traunstein ist, meiner Ansicht nach, kein Berg zum Laufen. Zwar ist der
Naturfreunde-Steig seilversichert, dennoch reicht ein einziger falscher
Schritt, um im Nirvana zu landen.
Nachdem ich aber im Herbst eine größere Reportage um den Bergmarathon
mache, wird mir eines bewusst: Gefahren gibt es auf jedem Berg, man muss
nur persönlich richtig damit umgehen können. Niemand zwingt mich dazu,
unvorsichtig zu sein, also folgt bald darauf die Anmeldung – .
Ein Tag vor dem Rennen: Ich bin ungewöhnlich aufgeregt. Das Essen schmeckt mir nicht mehr, ich bin nicht ich selbst. Zum Glück feiert unsere Tochter ihren 1. Geburtstag, Torte verzieren, Geschenke verpacken, feiern, das lenkt ein wenig ab.
Am Abend bereite ich meinen Rucksack vor, Erste-Hilfe-Paket, Handy, und eine zweite Schicht Bekleidung sind für mich am Berg eine Selbstverständlichkeit, egal ob es der Veranstalter vorschreibt oder nicht.
Eigentlich sollte ich früh schlafen gehen, der Startschuss fällt um 3 Uhr. Um 22:30 zwinge ich mich ins Bett, um 23:00 Uhr denke ich: „2 Stunden noch Zeit zum schlafen.“ – Irgendwann finde ich in einen sehr unruhigen Schlaf. Als um 1 Uhr der Wecker klingelt bin ich sofort hellwach und unendlich froh, dass der Tag X gekommen ist.
Ein kleines Frühstück, dazu eine Tasse Kaffee und dann fahre ich nach Gmunden. Am Start unterhalte ich mich ein wenig mit Bekannten. Nachdem sich das Gespräch plötzlich um die ’schlimmsten‘ Streckenabschnitte und Blitzopfer vom Traunstein dreht (und ich ohnehin wegen der Wetterprognose beunruhigt bin), beschließe ich, die letzte Zeit lieber alleine zu verbringen und die Konzentration auf mich selbst zu lenken. Ich will die letzten 10 Minuten ganz bei mir sein, die Zeit nutzen um meine Energie in eine positive Richtung zu lenken.
Startschuss
Pünktlich um 3 Uhr laufen wir aus Gmunden hinaus, vorbei an den vielen Nachtschwärmern – „Hoppauf, Voigas!“ – Richtung Grünberg. 400 Höhenmeter auf einem einfachen Weg sind genau richtig zum Aufwärmen, ich finde ein gutes Tempo und arbeite mich aufwärts. Nach etwa 45 Minuten gibt es einen Becher Wasser, ehe es wieder bergab geht Richtung Traunsee. Warum sehe ich so schlecht? frage ich mich die ganze Zeit, bis ich bemerke, dass ich meine Stirnlampe im Minimalmodus aufgedreht habe. Nachdem ich nach einer kleinen ‚Aufhellung‘ sogar den Boden sehe, komme ich sehr gut voran. Auf grobem Geröll heißt es gut aufpassen, nichts überstürzen und gut und sicher zur ersten Labestelle kommen. Dort greife ich bei den Keksen zu und schon geht es weiter durch die Lainau-Tunnel Richtung Naturfreundesteig.
Für das Rennen habe ich mir zwei Dinge vorgenommen:
1. Beherzt laufen und versuchen, das Beste aus mir herauszuholen
2. Am Traunsteig mit Handbremse unterwegs sein. Wie oben beschrieben, begegne ich Bergen mit viel Respekt. Dazu kommt, dass ich vor etwa zwei Wochen Glück hatte, als zwei Wanderer vor mir einen Steinschlag ausgelöst haben.
Traunstein
Ich beginne, ruhig und kontrolliert aufzusteigen. Von überholenden Läufern lasse ich mich nicht beirren, der Tag ist noch lange. Eine größere Gruppe Männer bleibt hinter mir „Du gehst eh a guats Tempo, des passt scho“. Bei Naturfreundehaus auf ca. 1.500 m angekommen, verzichte ich auf eine Pause. Meine Flaschen sind noch halb voll, das reicht für den Abstieg. Beim Abstieg zur Mair-Alm heißt es aufpassen, der vermeintlich einfachste Abstieg vom ‚Stoa‘ hat bis zum Bründl auf 1.100 m zahlreiche Tücken. Nach etwa 15 Minuten Abstieg liegt plötzlich ein Läufer am Weg und stähnt. Erst vermute ich einen Krampf. „Alles ok bei dir?“, frage ich. Nach einem kurzen Gespräch wird klar, dass er umgeknickt ist. Er hat kein Handy dabei und so rufe ich für ihn Organisator Harald an, damit dieser Bescheid weiß und ggf. die Bergrettung hinaufschicken kann. Der Läufer versichert mir aber, dass er soweit ok ist und versuchen wird, alleine abzusteigen. Zum Glück ist nicht mehr passiert, aber an dieser Stelle: Bitte liebe Leute, auch wenn es ein Rennen ist, das Handy gehört ins Gepäck!
Beruhigt kann es weitergehen, die Schnellsten rasen hier in 15-20 Minuten hinunter, ich brauche 40 Minuten. Als langsam würde ich das nicht bezeichnen, aber Sicherheit geht vor und meinen Kindern ist es herzlich egal, ob ich früher oder später mit ihnen ins Ziel laufe.
Erleichtert geht es weiter Richtung Karbach, ich verlaufe mich ein kleines Stück, nicht wegen der Markierung (diese ist perfekt gesetzt), sondern weil ich mit den Gedanken woanders bin. Auf jeden Fall bin ich guter Dinge, der Spitzlstein von dem ich schon so viel gehört habe, kann kommen. Als der Weg dorthin beginnt, wird mir klar: die Erzählungen sind nicht übertrieben, ganz im Gegenteil. Ein schmaler, rutschiger und abschüssiger Weg führt erst am See entlang. Jeder Schritt will gut gesetzt sein. Nach einer Weile geht es steil bergauf. wäre der Weg nicht so gut markiert, würde ich denken, das sei irgendein Jägersteig. Schmal, rutschig und unglaublich steil. Ich ziehe mich an Wurzeln hinauf, klettere unter Baumstämmen durch, über andere darüber. So mancher Teilnehmer sitzt am Wegesrand und rastet sich für eine kurze Zeit aus. Nach einer gefühlten Ewigkeit und wiederkehrenden Zweifeln, ob das wirklich der richtige Weg sein kann, erreiche ich die Drahtseilversicherungen – die Alm und damit das Ende dieses kräfteraubenden Anstiegs ist zum Greifen nahe. Bei der Labestation angekommen, gönne ich mir einen Becher Cola und dann geht es hinunter Richtung Ebensee. Der Weg ist toll – rutschig, aber laufbar. Ich überhole einige Läufer und freue mich auf die Halbzeit in Ebensee! Bevor ich diesen Teilerfolg feiern kann, folgen noch einige heiße Asphaltkilometer. Augen zu und durch – Nach 6:25 h ist ein großer Teil geschafft. Ein Schinken-Käseweckerl mit viel Salz, wieder Cola, Wasserflaschen auffüllen und schon geht es weiter.
Glühender Feuerkogel
Jetzt beginnt der letzte lange Anstieg hinauf Richtung Feuerkogel. Die ersten 200 Höhenmeter fühle ich mich noch blendend, dann kommt der große Einbruch. Mir ist schlecht, unendlich schlecht. Seit dem Start ist es heute wahnsinnig schwül, bin ich hier am Berg oder in den Tropen? Zumindest geht es nicht nur mir so, auch die anderen Läufer um mich haben zu kämpfen, immer wieder rastet jemand. Ich bleibe stehen, stütze mich auf meine Stöcke. Was tun? Zumindest habe ich genug Ultra-Erfahrung, um zu wissen, dass diese Phase normal ist. Angenehmer wird es dadurch aber nicht. Ich rede mir ein: Das ist jetzt eben ein kleines Problem, lass dir was einfallen, damit es besser wird!
So zwinge ich mich zu ein wenig Schokolade, nochmals viel Wasser und gehe einfach weiter – brutal langsam, aber jeder einzelne Schritt führt mich Richtung Feuerkogel. Ich starre auf meine Uhr, die Anzeige der aktuellen Höhe steigt im Zeitlupentempo – 800, 900, – auf einmal häre ich jemanden von hinten. „Ja Sigrid, Hallo!“ – Es ist Alfred, den ich schon vom Via Natura und Dirndltal Ultra kenne. Was bin ich froh, ihn zu sehen! Irgendwie weckt das meine Lebensgeister, wir gehen gemeinsam weiter und beschließen, zusammen zu bleiben. Mit netten Gesprächen über das bereits Erlebte lässt sich dieser Anstieg viel besser meistern. Als wir 200 Höhenmeter vor dem Plateau die Skipiste erreichen, brennt die Sonne gnadenlos auf uns herab, die Steine sind aufgeheizt, ich fühle mich wie in der Sauna. „Sigrid, alles ok?“, ruft Alfred. „Ja, passt schon!“ rufe ich zurück. Es gibt ohnehin nur einen Weg und dieser führt aufwärts. Nach gut 2 Stunden ist endlich die nächste Kontrollstelle erreicht. Nie hat Cola besser geschmeckt! Weil ich alles Essbare nicht mehr sehen kann, fülle ich mir das Zuckerwasser gleich in eine Trinkflasche. Bei dem Wetter und der Anstrengung ist eins der wichtigsten Dinge die konstante Energiezufuhr, egal ob gesund oder nicht – in Cola steckt ein Berg Zucker und genau dieser bringt mich weiter.
Rutschpartie Richtung Kreh
Der Weg vom Feuerkogel führt uns abwärts Richtung Kreh. Wir freuen uns, endlich abwärts laufen zu können, doch die Freude währt nur kurz. Der Abstieg ist rutschig wie Schmierseife. Jeder Stein, jede Wurzel ist nass, der Rest vom Weg ist matschig. Es gilt, nach über 8 Stunden Laufzeit, die Konzentration aufrecht zu erhalten, nicht an irgendeine Zeit zu denken, sondern einen Fuß sicher vor den anderen zu setzen. Teils auf allen vieren bewältigen wir die tückischsten Stellen, als wir endlich die Forststraße Richtung Kreh erreichen, sind wir heilfroh. Mittlerweile bin ich ziemlich müde, es sind nicht die Beine, die eine Pause möchten, sondern die Hitze setzt mir heute gewaltig zu. Aber wir schaffen das! Was sind schon 20 Kilometer, die noch ausständig sind –
Erst geht es hinauf zur Hochsteinalm, ein schöner Weg durch den Wald, dann wieder abwärts auf einer Forststraße.
Die letzten beiden Berge
Nur Grasberg und Gmundnerberg trennen uns noch vom Ziel. Die Strecke habe ich mir im Vorfeld nicht angesehen, hätte ich das getan, wüsste ich, dass im letzten Stück hundsgemeine Asphaltpassagen auf uns Läufer warten. In der Mittagshitze laufen wir die Straße entlang, bergauf gehen wir. Dem Kreislauf gefällt die Kombination aus Anstrengung und schwüler Hitze nicht besonders, so stecke ich bei jeder Gelegenheit meinen Kopf ins kalte Wasser. Bei den Kontrollstellen trinken wir nur kurz und schon geht es weiter. kämpfen, kämpfen, kämpfen, lautet das Motto. Und so erreichen wir den Gmundnerberg – eine letzte Abkühlung – und abwärts Richtung Gmunden. Das Ziel ist in greifbarer Nähe, es heißt ein letztes Mal aufpassen beim – wieder rutschigen – Abstieg vom Gmundnerberg. Die Beine wollen längst nicht mehr, aber der Kopf entscheidet, wir laufen und laufen, bis wir endlich die Esplanade erreichen. Die Leute jubeln uns zu, feuern uns an, es ist eine ganz besondere Stimmung. 300 Meter vor dem Ziel wartet mein Sohn Jakob auf mich, er läuft natürlich mit ins Ziel. Hand in Hand geht es über die Ziellinie – ein Traum! Ich habe es wirklich geschafft. Die Medaille vom Traunsee Bergmarathon wird einen besonderen Platz einnehmen. Stolz, glücklich und zufrieden nehme ich die letzten Meter Richtung See in Angriff, springe hinein und weiß, dass ich heute etwas ganz Besonderes geleistet habe.
Am nächsten Tag erfahre ich von dem Unglück von Marcus B. (wir haben auf Trailrunning Szene berichtet). Ich bin nach wie vor tief betroffen und traurig, dass ein junger Sportler bei seiner – vermutlich liebsten Beschäftigung – sein Leben lassen musste. Jeder Teilnehmer beim Bergmarathon ist sich der Risiken bewusst und bereitet sich intensiv darauf vor. Wir schäpfen unheimlich viel Kraft und Energie aus Bergen, Natur und diesen intensiven Erlebnissen. Vor Unfällen und Gefahren ist aber niemand gefeit, sei es bei einer vermeintlich einfachen Wanderung oder bei einer anstrengenden Tour. Mehr möchte ich dazu gar nicht schreiben, sondern nur noch sagen: Lieber Marcus, Alles Gute auf deiner letzten Reise, vielleicht lächelst du beim nächsten Bergmarathon von oben auf uns herab. Wir werden ganz sicher an dich denken.
Ich laufe seit vielen Jahren Ultratrails und bin seit 20 Jahren im Ausdauersport aktiv. Meine Erfahrung möchte ich an dich weitergeben.
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